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Es wird allmählich zur Routine, auf Österreichs Unzulänglichkeiten in der EU hinzuweisen. Am 20. Juni hat es die Bundesregierung wieder einmal geschafft, selbst kritische Geister zu überraschen. Denn an diesem Tag trafen sich die EU-27 (ohne Großbritannien) in einer Sonderformation des EU-Ministerrates, um die tags zuvor eröffneten Brexit-Verhandlungen zu besprechen. Der politisch interessierte Bürger darf annehmen, dass es sich dabei um einen Muss-Termin handelte. Der Brexit-Verhandlungsführer der EU, Michel Barnier, informierte die Minister der verbleibenden 27 EU Mitgliedstaaten aus erster Hand über die nun endlich begonnen Gespräche mit den Briten. Gegen alle Erwartungen war Österreich in diesem Ministerrat durch kein einziges Regierungsmitglied vertreten.
Neben der aktuellen Brexit-Info gab es auch gleich die erste Runde offizieller Gespräche darüber, wie man es denn mit den beiden EU-Agenturen in London halten werde. Bekanntlich müssen ja die EU-Arzneimittelagentur wie auch die Bankenaufsichtsagentur in ein anderes EU-Land übersiedeln. Und um die prestigeträchtige Einwerbung der Agenturen herrscht schon seit Monaten ein heftiger Wettbewerb unter den Mitgliedstaaten. Österreich hat sich dabei für Wien als künftigen Sitz der Arzneimittelagentur kräftig ins Zeug gelegt. Bloß als es am 20. Juni um die Fixierung der Regeln für die tatsächliche Vergabe ging, war kein einziger Minister oder Staatssekretär aus Wien dabei.
Abwesenheit und fehlerhafte Pressemeldung
Es wäre nämlich höchst aufschlussreich gewesen zu erfahren, dass all die bisherigen Liebesmühen umsonst waren. Es wird eine offizielle Aufforderung zur Interessenbekundung für die jeweiligen Agenturen geben. Die eingereichten Bewerbungen sollen dann von der EU-Kommission evaluiert und bewertet werden. Auf Basis dieser Bewertung sollen die EU-27 im Herbst 2017 über die künftigen Sitze der beiden Agenturen abstimmen. Warum Österreich seit Monaten unter Einsatz beachtlicher Mittel die Arzneimittelagentur umwirbt, bei der Fixierung der Vergabemodalitäten jedoch keinen stimmberechtigen Vertreter in den EU-Ministerrat geschickt hat, bleibt wohl ein innenpolitisches Rätsel.
Die diesmalige Abwesenheit lässt jedenfalls Schlimmes für die kommenden Monate befürchten. Die Sonderformation des EU-Ministerrates zum Brexit - "Rat Allgemeine Angelegenheiten (Art. 50)" - wird sich noch öfter und regelmäßig treffen (wohl ein- bis zweimal monatlich). Es wäre daher höchst an der Zeit, dass die österreichische Bundesregierung einen passenden und korrekten Modus zur Teilnahme findet. Inhaltlich teilen sich Außenministerium und Bundeskanzleramt die Zuständigkeit. Es stünden daher ein Außenminister, ein Kanzleramtsminister, eine Staatssekretärin und notfalls sogar ein Bundeskanzler zur Verfügung, um Österreich bei diesen wichtigen Treffen würdig zu vertreten. Selbst in Vorwahlzeiten sollte einer dieser vier die Zeit finden, an den Weichenstellungen der europäischen Zukunft teilzunehmen.
Wobei ein Blick auf die Homepage des Außenministeriums die Sache nicht unbedingt besser macht. Dort vermeldet die Pressestelle nämlich voller Stolz, Sebastian Kurz habe sich beim Außenministerrat am 19. Juni (!) für einen "geordneten Brexit" eingesetzt. Das ist umso erstaunlicher, als am 19. Juni das Thema gar nicht auf der Tagesordnung stand. Wohl auch, weil diese Ratsformation dafür gar nicht zuständig ist.
Zum Autor
Stefan Brocza
ist Experte für Europarecht und Internationale Beziehungen.