Evangelische Kirchen diskutieren kontroverses Thema.
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Wien. Dank des medizinischen Fortschritts steigt die Lebenserwartung stetig. Allerdings werde nicht nur das Leben, sondern auch das Sterben verlängert, sagt der Schweizer Theologe Thomas Wipf, Präsident der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (Geke). Zwangsläufig gewinnen dadurch auch Themen wie Tod, Krankheit und Schmerz an Aktualität - und der Umgang damit. "Diese Fragen fordern auch die Kirchen heraus", sagt Wipf, weshalb sich die Geke seit 2008 einer intensiven Diskussion zu einem der wohl umstrittensten Themen unserer Zeit gestellt hat: Der Sterbehilfe. Das Ergebnis ist ein Positionspapier, dessen deutsche Übersetzung am Donnerstag in Wien präsentiert wurde.
Die Broschüre "Leben hat seine Zeit, und Sterben hat seine Zeit" soll eine Orientierungshilfe für den Umgang mit lebensverkürzenden Maßnahmen sein. Dabei stellen die evangelischen Kirchen fest, dass sowohl Töten auf Verlangen, als auch Beihilfe zum Selbstmord "ethisch problematisch" seien und abzulehnen sind. "Tötung auf Verlangen ist schwer vereinbar mit einer der wesentlichsten und beständigsten Überzeugungen und Glaubensaussagen der christlichen Tradition", Leben zu achten und zu schützen. Dabei äußert die Geke die Befürchtung, dass die Bewilligung der Sterbehilfe "sie zu einem gewöhnlichen und etablierten Element medizinischer Praxis machen würde".
Sterbewilligen Seelsorge nicht vorenthalten
Sich zu dieser gemeinsamen ablehnenden Haltung zu bekennen, hat innerhalb der evangelischen Kirchen einiges an Diskussion bedurft, stehen sie doch jeweils in einer eigenen historischen, politischen und gesellschaftlichen Tradition. So verfolgen etwa die Schweiz und die Niederlande wesentlich liberalere Sterbehilfepolitiken, als andere europäische Länder.
Bei aller grundsätzlichen Ablehnung lässt die Geke deshalb auch einen gewissen Spielraum, entsprechend der evangelischen Tradition der Autonomie des Einzelnen: So wird betont, dass einer Person, die sich für Sterbehilfe oder Selbsttötung entschieden hat, weiterhin jede seelsorgerische Betreuung zukommen soll. Weiters wird empfohlen, trotz Verbots "extreme Fälle strafrechtlich nicht zu verfolgen". Was ein "extremer Fall" ist, sei letztlich von den Gerichten zu entscheiden, sagt Ulrich Körtner, evangelischer Theologe und Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin an der Uni Wien.
Für Bischof Michael Bünker soll das Papier "keine lehramtliche Vorschrift, sondern eine Orientierungshilfe" für Ärzte, Pflegende, aber auch eine Anregung für die Politik sein. Letztere sieht der Bischof vor allem im notwendigen Ausbau von Palliativ- und Hospizeinrichtungen gefordert.