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Sternstunde eines Utopisten

Von Michael Schmölzer

Europaarchiv

Tsipras will Linkswende, die Zeit spielt für gemäßigte politische Kräfte.


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Athen. Wie man es dreht und wendet, in Griechenland wird die Bildung einer regierungsfähigen Koalition mit jeder Stunde illusorischer. Auch dem Chef der stimmenstärksten Konservativen, Antonis Samaras, war die Aussichtslosigkeit der Lage voll bewusst. Am Montag erhielt er vom greisen Präsident Karolos Papoulias den Auftrag, Gespräche mit den anderen Parteien zu führen, noch am gleichen Tag warf er das Handtuch: Er habe alles getan, was er konnte, sei aber gescheitert, vermeldete Samaras Abends im Fernsehen. Jetzt ist der Vorsitzende des linken Syriza-Bündnisses, Alexis Tsipras, an der Reihe; auch er hat kaum Chancen auf Erfolg. Somit stehen alle Zeichen auf weitere Neuwahlen im Juni. Die Chancen sind gut, dass die etablierten Parteien Nea Dimokratia und Pasok dann wieder die absolute Mehrheit erlangen. Die Umfragen besagen, dass die meisten Griechen den Euro-Raum nicht verlassen wollen.

Linken-Chef mit radikalen Rezepten

Tsipras hat jedenfalls angekündigt, eine Regierung aller linken Kräfte bilden zu wollen, um den Folgen jenes Schuldenschnitts zu entgehen, "der uns in den Bankrott führt", so der 37-jährige Chef einer Allianz aus Trotzkisten, Autonomen und abtrünnigen Gewerkschaftern. Tsipras sprach sichtlich stolz von einem "historischen Moment für die Linke", als er von Präsident Papoulias den Auftrag erhielt, eine Regierung zu bilden. Der gelernte Bauingenieur ist motivierter als Konservativen-Chef Samaras; gut möglich, dass er die vollen drei Tage, die er für Gespräche Zeit hat, ausschöpfen wird. Eine Linkskoalition kann aber schon rein rechnerisch nicht auf eine Mehrheit im Parlament hoffen. Das umso mehr, als die orthodoxen Kommunisten, die rund 8 Prozent der Stimmen erhalten haben, von einer Zusammenarbeit mit Syriza nichts wissen wollen.

Sollte Tsipras ebenfalls scheitern, wäre der Chef der sozialistischen Pasok, Evangelos Venizelos, an der Reihe. Der korpulente Ex-Finanzminister will unter allen Umständen sicherstellen, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt, und betont, dass sich die pro-europäischen Kräfte sammeln müssten. Seine Pasok ist bei den Wahlen am Sonntag furchtbar abgestraft worden und erhielt nur noch 13 Prozent der Stimmen - 2009 waren es noch 44 gewesen. Venizelos will ebenso wie Samaras die Auflagen für die Rettungshilfen mit EU und IWF zumindest nachverhandeln.

Alexis Tsipras’ Radikalität ist Venizelos und Samaras aber völlig fremd. Am Dienstag hat der junge Linken-Chef die Zusagen Griechenlands zum milliardenschweren Rettungspaket in Bausch und Bogen für null und nichtig erklärt. Zudem meinte er, die griechischen Banken sollten alle unter staatliche Kontrolle gestellt werden. Eine Experten-Kommission müsse zudem prüfen, ob die Verschuldung des Landes überhaupt rechtmäßig sei.

Während die Linke in Griechenland heillos zerstritten ist, kommen auch die Rechtsparteien für ein Regierungsbündnis nicht in Frage. Die von den Konservativen abgespalteten "Unabhängigen Griechen" bestehen nämlich darauf, dass Deutschland Reparationen für die Verbrechen der Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg zahlt. Mittlerweile sei das Land "besetzt von den Geldgebern und ihren Kollaborateuren" und müsse "befreit" werden, so Parteichef Panos Kammenos. Mit linken Kräften will er nicht zusammenarbeiten, die konservative Nea Dimokratia ist aber ebenso sein Feindbild.

Politologen sind der Ansicht, dass die radikalen Parteien am rechten und linken Rand bei Neuwahlen im Juni nur verlieren können. Die Mehrheit der Griechen wolle in der EU und beim Euro bleiben, sagt etwa der Meinungsforscher Dimitris Mavrosdie. Die Wahlen vom vergangenen Sonntag waren demnach nur ein kurzlebiger Akt des politischen Aufbegehrens angesichts einer tristen wirtschaftlichen Lage, die viele Griechen in die Armut getrieben hat.

Bis Mitte Mai muss jedenfalls eine handlungsfähige Regierung stehen. Gelingt dies nicht, würde Präsident Papoulias alle Parteivorsitzenden zu einer letzten Sondierungsrunde zusammenbringen. Sollte auch dieser Versuch scheitern, wird das eben erst gewählte Parlament aufgelöst und Neuwahlen innerhalb von 30 Tagen angesetzt. Dann würde Ende Juni wieder gewählt.