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Steuer fließt ans Wohnsitzland

Von Christian Keuschnigg

Politik

EU und USA machen sich stark für automatischen Informationsaustausch.


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Wien. Die hohe Mobilität des Anlagekapitals stellt den Staat vor große Probleme, eine faire Besteuerung der persönlichen Kapitaleinkommen durchzusetzen. Je höher die Steuern, desto größer ist die Versuchung, durch Verschiebung in steuergünstige Länder seiner Steuerpflicht im Inland zu entkommen. Nicht nur verliert der Heimatstaat dringend benötigte Steuereinnahmen, auch die Steuermoral leidet, wenn manche Gruppen sich allzu leicht ihrer Pflicht entledigen können. Eine faire Besteuerung wird schwierig.

Es gilt das Wohnsitzlandprinzip

Auch im Wettbewerb der Länder gilt, dass der Kuchen möglichst groß sein soll, bevor er verteilt wird. Eine entscheidende Aufgabe des Kapitalmarktes ist es, das Sparkapital dorthin zu lenken, wo es den höchsten Ertrag erzielt, bevor es als Steuer an die Staaten und als Nettoeinkommen an die Anleger aufgeteilt wird. Dies ist möglich, wenn alle Länder die persönlichen Kapitalerträge nach dem Wohnsitzlandprinzip besteuern. Nach diesem Prinzip schuldet ein Österreicher auf seine weltweiten Kapitalerträge die Kapitalertragssteuer mit dem gleichen Satz, egal ob er sein Finanzvermögen im Inland, in Liechtenstein oder anderswo veranlagt. Umgekehrt muss ein Franzose seine Zinsen und Dividenden, die er in Österreich erzielt, in Frankreich versteuern.

Wenn sich alle Länder konsequent an das Wohnsitzlandprinzip halten, dann gibt es wenig Grund zur Kapitalflucht, auch wenn die Steuersätze unterschiedlich sind. Es ist dann für einen Anleger steuerlich irrelevant, ob er im In- oder Ausland anlegt. Er zahlt immer den gleichen Steuersatz, den sein Wohnsitzland anwendet. Die Bürger mögen aus wirtschaftlichen Überlegungen im Ausland investieren, weil dort die Sparanlagen besonders sicher sind, die Kapitalerträge vor Besteuerung höher sind, oder weil eine Veranlagung in unterschiedlichen Ländern das Anlagerisiko mindert. Die Steuern fließen jedoch immer an das Wohnsitzland.

Das zentrale Problem des Wohnsitzlandprinzips ist, dass die Steuerbehörden die inländischen Kapitalerträge viel leichter feststellen können als die ausländischen. Selbst wenn die Privatsphäre durch ein strenges Bankgeheimnis geschützt ist, kann die Steuerpflicht im Inland leicht durch eine Besteuerung an der Quelle durchgesetzt werden. Die Banken ziehen die Kapitalertragssteuer ab und zahlen nur den Nettozinsertrag aus. Bei einer Veranlagung im Ausland wird es schwierig. Das Finanzamt ist auf die Kooperation der ausländischen Steuerbehörden angewiesen. Wenn aber ein strenges Bankgeheimnis die Anonymität der Anleger schützt, dann haben die ausländischen Behörden wenig Information, die sie weitergeben könnten. Das erleichtert Steuerhinterziehung.

Bankgeheimnis

erschwert Besteuerung

Dem Wohnsitzlandprinzip stehen die strategischen Interessen der Staaten entgegen. Ein Land ist zwar sehr interessiert, Informationen zu bekommen, um die Steuerpflicht auf die ausländischen Kapitalerträge durchzusetzen. Das Interesse, selber Informationen weiterzugeben, ist dagegen gering. Im Gegenteil, manche Länder werben mit einem strengen Bankgeheimnis um ausländisches Anlagekapital und nehmen in Kauf, dass dies die Besteuerung im Wohnsitzland erheblich erschwert. Die Länder wollen oft den eigenen Finanzplatz stärken, der eine wichtige Quelle für Gewinne, Löhne und Beschäftigung ist. Wenn aber alle Länder nur Informationen beschaffen, aber keine weitergeben wollen, dann wird das Wohnsitzlandprinzip ausgehebelt und ausländische Kapitalerträge können nirgends wirksam besteuert werden.

Länder mit Bankgeheimnis wie zum Beispiel Österreich besteuern die inländischen Kapitalerträge an der Quelle. Die Banken zahlen nur die Nettoerträge aus, ohne individuelle Kundeninformationen preiszugeben. Für die Besteuerung von ausländischen Kapitalerträgen im jeweiligen Wohnsitzland gibt es nur zwei konsequente Lösungen, automatischer Informationsaustausch (AIA) oder Quellenbesteuerung mit Überweisung des Steueraufkommens an das Wohnsitzland. Die beiden Alternativen unterscheiden sich in ihrer Vereinbarkeit mit dem Bankgeheimnis.

Die EU setzt auf automatischen Informationsaustausch, das heißt: Die Steuerbehörden müssen systematisch Informationen über die Zinserträge von Ausländern an das jeweilige Wohnsitzland weiterleiten. Dazu müssen die Behörden die Anlegeridentität und individuellen Kontoinformationen kennen. Beim automatischen Informationsaustausch müssen also die Banken kooperieren und individuelle Anlageinformationen preisgeben, damit das Wohnsitzland die Besteuerung grenzüberschreitender Kapitalerträge durchsetzen kann. Das hebelt das Bankgeheimnis gegenüber Ausländern aus.

Quellensteuer ist mit Bankgeheimnis vereinbar

Die Schweiz und Liechtenstein bieten in den Steuerabkommen mit Österreich das Modell einer Quellensteuer an, welches mit dem Bankgeheimnis vereinbar ist. Mit einer einmaligen anonymen Abgeltungssteuer für in der Vergangenheit hinterzogene Abgaben werden bestehende Kapitalanlagen legalisiert. In Zukunft müssen schweizerische Banken die Kapitalerträge österreichischer Anleger mit dem österreichischen Steuersatz von 25 Prozent an der Quelle belasten und die Steuer an den schweizerischen Fiskus abliefern. Diese Einnahmen werden nach Abzug eines Erhebungsaufwandes von 25 Prozent an das Wohnsitzland Österreich überwiesen.

Es werden keine individuellen Kundeninformationen preisgegeben, sodass das Verfahren mit dem Bankgeheimnis auch gegenüber Ausländern voll vereinbar ist. Eine Quellensteuer wäre mit dem Bankgeheimnis vereinbar und würde den Wohnsitzländern das ihnen zustehende Steueraufkommen garantieren.

Es ist jedoch zu erwarten, dass der Druck der USA und der EU letztendlich zum automatischen Informationsaustausch führen wird. Diese Entwicklung zeichnet sich faktisch auch in der Schweiz ab. Das Land hat jüngst mit den USA zwecks Erfüllung des Foreign Account Tax Compliance Act (Fatca) ein Abkommen abgeschlossen, das einen weitgehenden Informationsaustausch (anonyme Blockmeldungen bis hin zu Individualmeldungen auf Anfrage) vorsieht und das Bankgeheimnis gegenüber Ausländern stark relativiert.

Angesichts dessen kann Österreich den Übergang zum automatischen Informationsaustausch verzögern, aber vermutlich nicht mehr verhindern.

Zur Person



Christian Keuschnigg

ist seit 1. Juni 2012 Direktor des Instituts für Höhere Studien in Wien, an dem er 1986 einen Postgraduiertenlehrgang abgeschlossen hat. Außerdem ist Keuschnigg Professor für Nationalökonomie, insbesondere öffentliche Finanzen, an der Universität St. Gallen.