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Steuerpolitik im "Blindflug"

Von Saskia Blatakes

Politik
© WZ-Illustration, Irma Tulek

Ökonomen der Wirtschaftsuniversität Wien zufolge ist das Steuersystem weitaus weniger progressiv als gedacht.


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WIen. Wer zahlt wie viele Steuern? Zugegeben, die Frage klingt banal und hat es doch in sich. Bis her gab es kein detailliertes Gesamtbild der Einkommen und Abgaben der österreichischen Haushalte und Personen. Österreich liegt laut OECD weltweit an zweiter Stelle, was die Gesamtbelastung durch Steuern und Abgaben betrifft. Nur in Belgien müssen die Bürger noch mehr abgeben. Doch wer trägt das Gros der Belastungen und wie progressiv ist das österreichische Steuersystem wirklich? Die WU-Forscher Stefan Humer und Mathias Moser vom Forschungsinstitut Economics of Inequality haben für ihre Steuerstudie Daten von Nationalbank, Statistik Austria und einer vom Verein Respekt.net durchgeführten Online-Befragung kombiniert. Am Dienstag wurde die Studie präsentiert.

Im Gegensatz zu einer stufenweisen Steuer, bei der mit steigendem Einkommen auch entsprechend mehr gezahlt wird, müssen untere und obere Mittelschicht nahezu gleich viel an den Fiskus zahlen. Kombiniert man direkte Steuern wie Lohnsteuer und indirekte Steuern wie Konsumabgaben, ergibt sich ein Steuersatz von knapp unter vierzig Prozent für die untere und obere Mittelschicht. Der Grund: Je geringer der Verdienst, umso mehr wird in der Regel davon ausgegeben.

Überraschend wird es aber beim oberen Prozent der Haushalte, das mit Hilfe der Online-Befragung genauer beleuchtet wird. Hier diagnostizieren die Wissenschafter eine "tendenziell fallende Abgabenquote." Dabei werde der oberste Rand nicht einmal mit abgedeckt. Vermögen und Abgaben der Superreichen liegen in Österreich immer noch im Dunkeln.

"Nicht faktenbasiert"

Dass die Gesamtbelastung der Haushalte im oberen Prozentbereich im Verhältnis zum Einkommen niedriger ist als in der Mittelschicht, deckt sich mit den Ergebnissen einer neuen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. Doch auch das oberste Prozent der bekannten Vermögen koppelt sich deutlich von den darunter liegenden Prozentsätzen ab. Es ist laut der Studie doppelt so hoch wie das der 99 Prozent und unterscheidet sich deutlich vom Rest der Gesamteinkommen, die mäßig und linear wachsen.

Die Jungökonomen kritisieren, die österreichische Steuerpolitik sei "nicht faktenbasiert". Für Studienautor Mathias Moser ist durch die neue detaillierte Aufschlüsselung gar das "Märchen vom progressiven Steuersystem" angekratzt. Johannes Pasquali, Pressesprecher des Finanzministeriums begrüßt gegenüber der "Wiener Zeitung" die "sachliche und faktenbasierte Analyse des österreichischen Steuersystems". Der Kritik der Volkswirte entgegnet er: "Mit der Steuerreform wurden bereits wesentliche Schritte in Richtung Transparenz, Entbürokratisierung, Deregulierung und Gerechtigkeit gesetzt. Durch die Senkung des Eingangssteuersatzes sowie durch die Abflachung der Progression kommt es vor allem im unteren und mittleren Einkommensbereich zu einer überproportionalen Entlastung."

Die Jungökonomen gehen hart mit der Steuerreform von Finanzminister Hans Jörg Schelling ins Gericht. Studienautor Mathias Moser kritisiert im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", das Finanzministerium wisse gar nicht, wie hoch die Gesamtabgabenlast sei und erhebe es auch nicht. Die Senkung des Eingangssteuersatzes nennt er eine "Reform im Blindflug". Konsum, Wirtschaftswachstum und Aufschwung könne man nur ankurbeln wenn man den Gesamtzustand des Abgabensystems kennt und das sei derzeit nicht der Fall.

Schweizer Kuchen

Bei ihren Recherchen stießen die Studienautoren Humer und Moser auf ein Dickicht aus mangelhaften Daten und weißen Flecken auf der fiskalischen Landkarte. Die Ökonomen vom neuen WU-Institut für Ungleichheitsforschung gehen hart mit der staatlichen Intransparenz ins Gericht. So verschwand zum Beispiel die Kapitalertragssteuer 1992 komplett aus der Statistik. "Man wollte damals wohl ein Stück vom Schweizer Kuchen abkriegen", sagt Moser. Für die folgenden zehn Jahre seien die heimischen Kapitaleinkommen absolut unbekannt.

Ein Lichtblick war für die Wissenschafter eine von der Europäischen Zentralbank koordinierte und der Nationalbank durchgeführten Studie zu den österreichischen Vermögen (die "Wiener Zeitung" berichtete). Dieser Datensatz basiert auf Empfehlungen einer Studie, die von den internationalen Top-Ökonomen Amartya Sen, Joseph E. Stiglitz und Emmanuel Saez durchgeführt wurde. Trotzdem sei er auf massiven politischen Gegenwind gestoßen, so die beiden Volkswirte. "Die objektiven Daten werden diskreditiert, weil sie über die Vermögen der Mächtigen viel aussagen", sagt Humer. "Die Frage ist doch, wollen wir objektiv sinnvolle Sozialpolitik oder Klientelpolitik", ergänzt sein Kollege Moser.