"Steuerwettbewerb unter Ländern sollte fair sein". | Einkommengrenze für Spitzensteuersatz hinaufsetzen. | Landesschulräte abschaffen. | "Wiener Zeitung": Wir erleben derzeit weltweit eine deutliche Konjunkturabschwächung, von der auch Österreich betroffen ist. Gleichzeitig wird intensiv über eine Steuerreform diskutiert. Kann eine Steuerreform das heimische Wirtschaftswachstum beleben?
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Helmut Kramer: Ich würde keine großen Hoffnungen darauf setzen, dass man mit einer Steuerreform die Konjunktur ankurbeln kann. Die österreichische Wirtschaft und ihre Konjunktur ist so stark in die internationale eingebettet, dass eine allfällige Belebung der Nachfrage jedenfalls zur Hälfte über die Grenze geht, sich also in Form von Importen niederschlägt, und die deutsche und oberitalienische Konjunktur belebt.
Und der Rest, der vielleicht im Inland bleibt, kann sich gerade in einer Phase der Unsicherheit über die Wirtschaftslage und die Arbeitsplätze auch in einem höheren Sparaufkommen niederschlagen. Ich bin aber durchaus der Ansicht, dass eine maßgebliche Adaption des österreichischen Steuersystems sinnvoll wäre.
Was wären die wichtigsten Maßnahmen?
Ich bin wie die meisten anderen Wirtschaftsforscher der Meinung, dass wir so bald wie möglich eine Entlastung bei Lohn- und Einkommensteuer brauchen, da die einkommensabhängigen Steuern in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind.
Während gleichzeitig andere Steuern, etwa die auf Unternehmensgewinne, deutlich reduziert wurden.
Das ist richtig, letzteres hat aber internationale Ursachen, denen sich auch Österreichs Finanzminister nicht entziehen kann. Traditionelle Besteuerungsgegenstände wie Kapitalvermögen, aber auch Unternehmenssitze sind mobil geworden. Daher sind kreative Methoden notwendig, um sich weiterhin ein Stück von Kuchen zu sichern.
Meinen Sie den Steuerwettbewerb zwischen Staaten oder den Kauf von Daten über Steuerflüchtige, die ihr Geld nach Liechtenstein gebracht haben?
Ich meine den Steuerwettbewerb. Es gibt ja durchaus Experten, die der Ansicht sind, dass es den Finanzministern gar nicht schlecht tut, wenn Sie, anstatt ein Kartell zu bilden, auch ein bisschen Konkurrenz spüren. Dann werden sie vielleicht beim Budget innovativer oder denken auch an Einsparungen.
Allerdings sollte der Wettbewerb einigermaßen fair sein. Wenn er nur zum Abjagen des Besteuerungsgegenstandes dient, dann ist er in meinen Augen nicht sinnvoll und oft sogar schädlich.
Nach Vorstellung der SPÖ soll eine Steuerreform vor allem die unteren und mittleren Einkommen entlasten. Durch die kalte Progression sind allerdings zunehmend mehr Menschen vom Spitzensteuersatz betroffen, dessen Senkung nicht zur Diskussion zu stehen scheint.
Da gibt es an sich den gangbaren Ausweg, die Einkommensgrenze, ab welcher der Spitzensteuersatz wirksam wird, hinaufzusetzen. Das wäre eine Entlastung für die sogenannten Leistungsträger.
Derzeit unterliegen Einkommen ab 51.000 Euro dem Spitzensteuersatz. Welchen Betrag hielten Sie nach einer Reform für angemessen?
Ich denke, dass 70.000 oder 77.000 Euro eine vernünftige Größenordnung wären. Es ist aber auch eine beachtliche Masse der Einkommensbezieher, die einigermaßen qualifizierten Arbeitskräfte mit Einkommen um die 30.000 oder 35.000 Euro schon ganz kräftig in die Progression hineingerutscht. Dort muss in erster Linie etwas geschehen. Und bei den unteren Einkommen, wird man schon aus politischen Gründen etwas machen müssen.
Wie viel wird eine Steuerreform, die diesen Namen verdient, Ihrer Einschätzung nach Kosten?
Drei oder vier Milliarden wird man jedenfalls brauchen, um irgendwas Sichtbares zustande zu bringen. Diese Größenordnung ist notwendig, man soll das aber nicht mit irgendwelchen konjunkturellen Faktoren argumentieren.
Die ÖVP argumentiert, dass wir uns eine Steuerreform erst 2010 und nicht schon 2009 leisten können. Wie beurteilen Sie dieses Argument?
Für mich wäre das nachvollziehbar, wenn bis 2010 eine sichtbare Reduktion des strukturellen Budgetdefizits eingeleitet wäre. Das ist aber bislang nicht geschehen und stellt sicher ein Versäumnis der gegenwärtig amtierenden Regierung dar, die in den Hochkonjunkturphase der letzten Jahre das Budget strukturell nicht wirklich verbessert hat. Da hätte es eigentlich geschehen müssen.
Was die Frage aufwirft: Wo würden denn Sie sparen?
Es gibt Bereiche, in denen man sicher nicht sparen kann und auch nicht soll. Dazu gehört vor allem das Bildungssystem. Da muss man im Gegenteil in Zukunft mehr investieren.
Klar ist aber, dass die öffentliche Verwaltung in Österreich sehr aufwendig und somit auch recht teuer ist. Es gibt Berechnungen, dass unser Verwaltungsaufwand im Vergleich zu Deutschland, das in dieser Hinsicht bei weitem kein Musterschüler ist, etwa ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts mehr kostet. Und es gibt erhebliche bessere Modelle als das deutsche - in Holland, in Schweden und vor allem in Finnland.
Also sollten wir die Landtage abschaffen?
Zuerst würde ich die Landesschulräte abschaffen. Aber das bringt natürlich keine Milliardeneinsparungen. Was übrigens auch für den politischen Apparat der Landespolitik gilt. Landtage und Landesregierungen, deren Dienstwagen und Pensionen, das sind keine wirklich großen Kosten. Der reine politische Apparat, der immer in der Auslage steht, kostet maximal 200 Millionen Euro. Wenn wir die Hälfte der Landtage einsparen, hat man 100 Millionen gewonnen. Das sind dann aber nicht die drei, vier Milliarden, die man suchen muss. Da muss man konsequent und hartnäckig viele Bausteine in der Größenordnung von 50 oder 100 Millionen suchen und auch finden, damit man sich die Steuersenkung leisten kann.
Deutlich gestiegen sind in den vergangenen Jahren die Ausgaben für das Gesundheitssystem. Sehen Sie in diesem Bereich Einsparungsmöglichkeiten?
Die gibt es sicherlich, sind aber offenbar politisch unglaublich schwer umzusetzen, weil sie lokalen und regionalen Interessen zuwiderlaufen. Ich würde daher stärker auf das Argument der Qualität setzen. Qualität in der Behandlung kann man nur durch Spezialisierung und das Setzen von Schwerpunkten sicherstellen. Krankenhäuser in jeder Bezirksstadt können das nicht leisten und sind sehr teuer. Aber natürlich verbünden sich Bürgermeister, Bezirksbehörden und die Ärzteschaft der betroffenen Krankenhäuser gegen jede Veränderung. Eine Dämpfung der Kostensteigerung ist daher nur möglich, wenn man diese Widerstände überwindet. Denn neue Behandlungsmethoden, neue Einsatzmöglichkeiten modernster Medizin führen ohnedies zwangsläufig zu höheren Kosten.
Was kann die Regierung tun, um der nun beginnenden Konjunkturabschwächung entgegenzuwirken?
Das ist schwierig, weil es schon recht spät ist. Ich benutze gelegentlich den Vergleich mit einem Grippeanfall: Wenn man rechtzeitig ein Aspirin schluckt, wenn es zum ersten Mal ein bisschen in der Nase kratzt, dann kriegt man die Grippe vielleicht noch weg. Wenn sie einmal da ist, dann hilft das Aspirin nichts mehr.
Das heißt, wenn der Abschwung bereits voll begonnen hat oder gar schon eine Rezession da ist, dann hat der Finanzminister kaum noch Spielraum, weil die Einnahmen ausbleiben. Senkt er zudem noch die Steuern, werden sie noch geringer und die Effekte gehen, wie erwähnt, zu einem nicht unbeträchtlichen Teil in die Importe. Aber man kann Infrastrukturinvestitionen vorziehen. Das hat einen gewissen Effekt.
Wann wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, den nun beginnenden konjunkturellen Grippeanfall zu bekämpfen?
Der Zeitpunkt wäre so zu wählen gewesen, dass stützende Effekte jetzt schon wirksam werden. Wenn man jetzt erst darüber nachdenkt, was man tun kann, dauert es ja einige Zeit, bis irgendwelche Maßnahmen umgesetzt werden können. Antizyklische Konjunkturpolitik ist allerdings in der politischen Praxis sehr, sehr schwierig. Eine Rezession prophylaktisch zu bekämpfen, bringt kaum ein Finanzminister zusammen. Denn solange es uns gut geht, sagt er, warum soll ich jetzt eingreifen, wo doch ohnedies alles toll läuft. Außerdem ist die Vernetzung der Volkswirtschaften mittlerweile so stark, dass Einzelstaaten kaum noch effektive Maßnahmen setzen können.
In Wahrheit könnte Konjunkturpolitik, wenn überhaupt, eigentlich nur noch auf europäischer Ebene gemacht werden, was aber nicht geschieht. Eine gemeinsame europäische Konjunkturpolitik existiert nicht und war auch nie ein politisches Ziel.
Die in eine Rezession abdriftende US-Wirtschaft profitiert zurzeit vom niedrigen Dollarkurs. Sollte die EZB einer weiteren Aufwertung des Euro gegensteuern?
Offiziell ist die EZB ja für Wechselkurse gar nicht zuständig. De facto könnte sie versuchen, den Wechselkurs zu beeinflussen, indem sie die Zinsdifferenz zwischen Dollar und Euro nicht zu groß werden lässt.
Andererseits fühlt sich die EZB durch die deutlich gestiegene Inflation eher ermutigt, mit den Zinsen hinaufzugehen, was zumindest keine Belebung der Konjunktur heißen kann. Die EZB steckt da in einem Dilemma.
Zur Person
Helmut Kramer, gebürtiger Vorarlberger, studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien und begann nach seiner Promotion für das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) zu arbeiten.
1971 wurde er zum stellvertretenden Leiter und zehn Jahr später zum Leiter des Wifo berufen. Diese Position, die er bis zum Jahr 2005 innehatte, machte ihn - nicht zuletzt auch aufgrund der regelmäßigen Präsentation der Konjunkturprognosen - zum wahrscheinlich bekanntesten Wirtschaftsforscher des Landes.
Während seiner Zeit als Wifo-Chef fungierte Kramer als Berater sämtlicher Bundesregierungen und Finanzminister. Von 2005 bis 2007 amtierte Kramer als Rektor der Donau-Universität Krems.