Interview mit Martin Simhandl, Vorstand der Wiener Städtischen. | Steueraufkommen steigt trotz sinkender Steuersätze. | "Wiener Zeitung": Gehts der Wirtschaft gut, gehts uns allen gut - dieser Slogan der Wirtschaftskammer stieß mit Verweis auf steigende Unternehmensgewinne und real sinkende Löhne auf Kritik. Stimmt der Slogan?
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Martin Simhandl: Grundsätzlich ist wichtig, dass der Wohlstand steigt. Dazu gehört Wirtschaftswachstum und auch Verteilungsgerechtigkeit - und hier hat Österreich mit der Sozialpartnerschaft eine gute Tradition. In einem größeren Zusammenhang muss man sehen, dass Länder an unseren Grenzen ein sehr viel niedrigeres Wohlstandsniveau aufweisen. Diesen Ländern muss man zugestehen, dass auch sie partizipieren. Sie tun ja auch viel dafür.
Womit wir beim Standortwettbewerb sind: Österreich geht hier den Weg niedriger Unternehmenssteuern. Kritiker nennen das Steuerdumping.
Steuern sind ein sehr komplexes Thema - Steuersätze sind hier nur ein Aspekt, Bemessungsgrundlagen ein anderer. Wenn ich mir anschaue, dass gerade die Versicherungswirtschaft auch in den letzten Jahren mehr Steuern wegen der Veränderung der Bemessungsgrundlagen zahlt, sollte man dieses Thema nicht einseitig verkürzen. Kurz gesagt: Der Steuersatz allein macht es nicht. Es ist aber sicher richtig, ein Steuersystem zu haben , das im internationalen Vergleich gut standhalten kann.
Neben der Besteuerungshöhe entscheiden auch Qualität der Ausbildung sowie Infrastruktur über die Wettbewerbsfähigkeit eines Standorts. Worauf legen Unternehmen am meisten Wert?
Das Versicherungsgeschäft ist local business, die gesamte Dienstleistung ist sehr stark auf den Kunden zugeschnitten. Aus diesem Grund verfolgen wir wie in Österreich auch in Zentraleuropa eine Mehr-Marken-Strategie. Damit werden unsere Gesellschaften als lokale Unternehmen wahrgenommen. Wir belassen auch die Gewinne im Land und investieren, weil wir denken, dass das für die Entwicklung dieser Länder wesentlich ist. Für eine gute Dienstleistung bedarf es in erster Linie gut ausgebildeter Mitarbeiter. Unser Kapital liegt in den Köpfen unserer Arbeitnehmer. Hier hat Österreich in Sachen Ausbildung sicher ein gutes Fundament, aber unsere Nachbarn holen enorm auf. In der Versicherungsbranche gibt es dort jetzt schon einen höheren Akademikeranteil als in Österreich.
Wird sich die Steuerspirale für Unternehmen auch künftig weiter nach unten drehen?
Bei aller Fixierung auf Steuersätze sollte man das Steueraufkommen nicht aus den Augen verlieren - das steigt beständig. Und das Aufkommen speist sich nicht nur aus den direkten Steuern. Ein gewaltiger Betrag liegt hier in den indirekten Steuern. Und man sollte auch die Umwegrentabilität über das Wirtschaftswachstum nicht vergessen. Das Beispiel Irland hat gezeigt, wie ein Land mit europäischer Hilfe und niedrigeren Steuersätzen zu Wohlstand kommt. Was für Irland gut und billig war, sollten wir auch Zentraleuropa zugestehen.