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Stiche mitten ins Herz

Von Ronald Schönhuber

Politik

Der Islamische Staat nimmt gezielt Touristen ins Visier - und trifft die Ferienländer am Mittelmeer damit an ihrer verwundbarsten Stelle.


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Istanbul/Kairo. Die Türkei ist nur das letzte Glied in der Kette. Wie Dominosteine sind die Reiseländer am Mittelmeer in den vergangenen Monaten dem Terror des selbsternannten Kalifats zum Opfer gefallen. In Tunesien, das nach den arabischen Aufständen als einziger Staat den Übergang zur Demokratie geschafft hat, erfolgt der erste Stich in das wirtschaftliche Herz des Landes bereits im März des vergangenen Jahres, als Anhänger des sogenannten Islamischen Staates beim Überfall auf das Bardo-Museum in Tunis mehr als 20 Touristen töten. Keine drei Monate später müssen die tunesischen Behörden sogar 38 Särge mit toten Urlaubern heimschicken, nachdem ein einzelner IS-Dschihadist in einer Hotelanlage bei Sousse das Feuer eröffnet hatte. Noch viel mehr Tote gibt es allerdings Ende November, als ein russischer Ferienflieger nach einer Bombenexplosion über dem ägyptischen Sinai abstürzt. Von den 224 Menschen an Bord überlebt kein einziger den Anschlag, den IS-Sympathisanten mit Hilfe von einheimischen Flughafenmitarbeitern verüben.

Schon damals zeigte sich, dass die Gotteskrieger nicht nur erstaunlich gut vernetzt sind, sondern dass es für sie auch kaum einen Unterschied macht, mit welchen Mitteln sie Angst und Schrecken verbreiten. Einmal ist es ein Einzeltäter, der mit einer Kalaschnikow durch die Hotelanlage stürmt, dann wieder ein hochkomplexes Attentat wie am Sinai.

Doch egal, ob es nun ein simpler Messerangriff ist oder wie nun in der Türkei ein Selbstmordattentäter mit Sprengstoffgürtel, mit den Anschlägen treffen die Dschihadisten die Ferienländer an ihrer verwundbarsten Stelle. Denn neben "Sonne, Sand und Meer" ist die Sicherheit zum vierten wesentlichen Wettbewerbsfaktor aufgestiegen, der darüber entscheidet, ob die Touristen aus dem Westen nun hier oder anderswo ihren Urlaub verbringen.

Wie wichtig dass Thema den Gästen mittlerweile ist, musste vor allem Tunesien, wo der Tourismus sieben Prozent des BIP ausmacht, schmerzlich erfahren. In Folge der beiden IS-Anschläge kamen in der ersten acht Monaten des vergangenen Jahres statt fünf Millionen Touristen nur noch vier Millionen ins Land. Bereits unmittelbar nach den Attentaten hatte die tunesische Regierung ihre Wachstumserwartungen für 2015 von zuvor drei Prozent auf 0,5 Prozent gesenkt.

Mit harter Hand

Auch in der Türkei gab es zuletzt spürbare Einbußen. Obwohl die Anschläge von Suruc und Ankara mit fast 140 Toten keine touristischen Einrichtungen zum Ziel hatten, gab es bei den Tourismuseinkünften allein im dritten Quartal ein Minus von 4,4 Prozent. Für das Gesamtjahr 2015 gehen Branchenvertreter von einem Verlust von zehn Milliarden Euro aus.

Ein Rezept gegen den Terror an Stränden und in Museen haben bis heute freilich weder Tunesien, Ägypten noch die Türkei gefunden. Um die Touristen dennoch in Sicherheit zu wiegen, wird daher vor allem auf zusätzliche Polizeipräsenz in den Tourismusorten und verbale Schärfe gesetzt. Ägyptens Machthaber Abdel Fattah al-Sisi und andere Regierungsmitglieder beteuern etwa schon seit Monaten gebetsmühlenartig, dass das Land sicher und stabil sei und dass mit harter Hand gegen die Terroristen des IS vorgegangen werde.