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Ölpipeline Kaspisches Meer-Türkei funktionsfähig. | Region wichtiger Energielieferant. | Istanbul. (apa) Manche Revolutionen spielen sich lautlos ab. Als der Supertanker "The British Hawthorne" am vergangenen Wochenende vom Hafen Ceyhan im Süden der Türkei ablegte und mit 85.000 Tonnen Rohöl an Bord Kurs auf Italien nahm, gab es keine Marschmusik, keine Festreden und keine festliche Girlanden. Dennoch ist die Reise der "Hawthorne" ein epochales Ereignis, denn sie signalisiert eine Verschiebung des internationalen Machtgefüges im Kaukasus und in Zentralasien.
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Die "Hawthorne" ist der erste Tanker, der mit Öl aus der neuen Pipeline vom Kaspischen Meer zum Mittelmeer gefüllt wurde. Die fast zweitausend Kilometer lange Pipeline ist deshalb so bedeutsam, weil sie einen Weg darstellt, die Ölvorräte des Kaspischen Meeres in den Westen zu bringen, ohne dass Russland - oder der Iran - die Möglichkeit hätten, den Hahn abzudrehen. Mit ihren 1770 Kilometern von der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku über Georgien in den Süden der Türkei ist die Pipeline deshalb weit mehr als nur eine Rohrleitung für einen wichtigen Rohstoff. Die nach den Hauptstationen Baku, Tiflis und Ceyhan "BTC" genannte Pipeline ist Teil eines Machtkampfes zwischen den USA und Russland.
Alternative Routen
Aufgeschreckt durch die Sperre russischer Energielieferungen an die Ukraine Anfang des Jahres, suchen westliche Staaten derzeit verstärkt nach alternativen Routen. BTC könnte eine Antwort sein. Allein die drei wichtigsten Ölfelder Aserbaidschans unter dem Kaspischen Meer enthalten mehr als fünf Milliarden Barrel hochwertiges Öl; insgesamt werden unter dem Meer mehr als 100 Milliarden Barrel (je 159 Liter) vermutet. Hinzu kommen bis zu 600 Mrd. Kubikmeter Erdgas. Wenn sich diese Schätzungen bewahrheiten, dürfte die Gegend um das Kaspische Meer zu einem der wichtigsten Energielieferanten im 21. Jahrhundert werden. Bisher wurde das meiste Öl zu einem russischen Hafen am Schwarzen Meer gepumpt und dann in Tankern Richtung Westen geschickt. Diese Methode hat aus Sicht des Westens und der Türkei zwei Haken: den russischen Einfluss auf die Öllieferungen und die Tatsache, dass die Tanker durch das Nadelöhr der Bosporus-Meerenge und damit mitten durch die Zwölf-Millionen-Stadt Istanbul transportiert werden muss. Die Gefahr einer Katastrophe in der größten Stadt Europas steigt mit jedem zusätzlichen Tanker.
Machtpolitik der USA
Für die US-Regierung waren die machtpolitischen Überlegungen entscheidend. Washington setzte sich seit den neunziger Jahren vehement für den Bau der Pipeline ein, um den russischen und den iranischen Einfluss auf die Öltransporte auszuschließen. Ein Konsortium unter Führung des Ölmultis BP begann 2002 mit dem Projekt BTC, das am Ende 3 Mrd. Euro kostete. Inzwischen ist die Rohrleitung mit rund 10,4 Mio. Barrel Rohöl gefüllt, im Juli soll die offizielle Einweihung folgen. Wenn der Betrieb in Ceyhan nach dem Ladetest mit der "Hawthorne" auf Normalleistung gebracht worden ist, soll in dem südtürkischen Hafen 1 Mio Barrel Öl pro Tag verladen werden. Die Infrastruktur dafür ist vorhanden, in Ceyhan wurde bis vor wenigen Jahren Öl aus dem Irak aus einer Pipeline auf Schiffe gepumpt.
Als größtes Transferland und BTC-Endstation verdient die Türkei jedes Jahr rund 300 Mio. US-Dollar an Gebühren. Zu diesen Einnahmen gesellt sich die gestiegene Bedeutung des Landes als Standort einer wichtigen Lebensader der westlichen Energieversorgung.
Diese Bedeutung könnte in den kommenden Jahren noch wachsen. Die USA haben inzwischen auch das im Osten an das Kaspische Meer grenzende Kasachstan aufgefordert, sich mit Hilfe einer Verlängerung an der Pipeline nach Ceyhan zu beteiligen. Kasachstan sitzt auf einem der größten Ölfelder überhaupt, dem Kaschagan-Feld mit bis zu 40 Mrd. Barrel - und noch laufen viele kasachische Exporte über Russland.