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Stille und Empörung

Von Alexander Dworzak, Julian Mayr und Simon Rosner

Politik

Die Grünen sind nach dem Nein von ÖVP-Innenminister Karner zum Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien auffällig ruhig. Rumänien ruft seinen Botschafter zurück.


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Die Reaktionen auf Österreichs Nein zur Aufnahme von Rumänien und Bulgarien in den Schengen-Raum Anfang 2023 können unterschiedlicher nicht sein. Der Grundtenor der Berichterstattung in Rumänien reicht von der Betitelung der Entscheidung als "Demütigung" und "Putsch gegen die EU" bis hin zu NS-Vergleichen. Das Bukarester Online-Medium "Republica" attestierte Kanzler Karl Nehammer gar "SS-Sturmbannführer-Gehabe" und schrieb, man habe "sich unwillkürlich daran erinnert gefühlt, dass Hitler österreichischer Abstammung war". Die ebenfalls in Bukarest angesiedelte "Spotmedia" berichtet von einer "EU in Geiselhaft eines politischen Hooligans" Österreich.

Ihren Ärger demonstrierte die rumänische Regierung, indem sie den Botschafter in Österreich, Emil Hurezeanu, für Konsultationen zurückzog. Präsident Klaus Johannis sieht in dem Zwist auch vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges eine Gefahr: "Die bedauerliche und ungerechtfertigte Haltung Österreichs gefährdet die europäische Einheit und den Zusammenhalt, den wir gerade im aktuellen geopolitischen Kontext so sehr brauchen." Der Chef der Sozialdemokraten, Marcel Ciolacu, gab zudem zu verstehen, dass auch Rumänien in Zukunft von seinem Vetorecht Gebrauch machen könne, sollte es bei Abstimmungen um Österreichs Interessen gehen.

Van der Bellen meldet sich zu Wort

Die Stimmung in Bulgarien schien etwas weniger angeheizt als jene im Nachbarland. Wie die Tageszeitung "Dnevnik" berichtet, nutzten die parlamentarischen Kräfte in Bulgarien die Causa zwar, um sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Die ehemalige Außenministerin der konservativen Gerb-Partei, Ekaterina Zaharieva, schob dem früheren Premierminister Kiril Petkov zumindest eine Teilschuld für die ablehnende Haltung Österreichs und der Niederlande zu. Doch auch aus Sofia war im Kern unmissverständlich zu vernehmen, dass die Entscheidungen der Regierungen aus Wien und Den Haag nicht gerechtfertigt seien.

In Österreich dagegen: weit verbreitetes Schweigen. Überraschend ist das jedoch nicht, denn die offizielle Position der SPÖ, vertreten durch die Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner, war zuletzt identisch mit jener von Innenministers Gerhard Karner (ÖVP), der beim Treffen mit den EU-Amtskollegen das Nein deponierte. ÖVP und FPÖ kritisierten am Freitag gleich die Kritiker am Veto, da sich diese gegen die Sicherheitsinteressen der Menschen stellten, wie etwa der Generalsekretär der Volkspartei, Christian Stocker, erklärte.

Einer der Kritiker ist Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Seit seiner Wiederwahl hat er sich noch nicht oft zu aktuellen politischen Debatten geäußert, am Freitag war es aber wieder so weit. Das Veto Österreichs bedauerte das Staatsoberhaupt "außerordentlich", wie er bei einem Besuch in Slowenien erklärte. Österreich befände sich zwar in einer schwierigen Lage aufgrund der hohen Zahl an Asylanträgen, "aber die Schengen-Blockade trägt nichts zu einer Lösung bei. Im Gegenteil, nun drohen Strafen für die österreichische Wirtschaft durch rumänische Gegenmaßnahmen", so Van der Bellen.

Der grüne Koalitionspartner verhält sich dagegen auffallend ruhig. Die internen Versuche, das kaum für denkbar gehaltene Veto noch zu verhindern, sind in den vergangenen zwei Wochen gescheitert. Das nächste Ziel der Grünen: zu unterbinden, dass sich die ÖVP in ihrer Position so tief eingräbt, dass sie selbst nicht mehr wieder herauskommt. Und das könnte der Volkspartei insofern bereits passiert sein, da sie am Mittwoch fünf zu erfüllende Forderungen nach Brüssel schickte, die kaum durchsetzbar sind oder jedenfalls Jahre der Verhandlungen benötigen würden, wie etwa eine "Zurückweisungsrichtlinie" oder Asylverfahren in Drittstaaten.

Am Freitagabend versuchte dann Außenminister Alexander Schallenberg auf Puls24, ein wenig zu kalmieren: Es handle sich um kein Veto, sagte er, sondern einen Hilferuf, denn Österreich sei bei Migrationsthematiken "immer gleich ein Frontstaat".

Als Bulgarien und Rumänien Anfang 2007 der EU beitraten, waren lediglich 28.301 Personen aus diesen beiden Ländern in Österreich gemeldet. Heute sind mehr, nämlich rund 32.000, allein in einem einzigen Beruf tätig: der 24-Stunden-Personenbetreuung - die meisten übrigens in Niederösterreich, wo Ende Jänner Landtagswahlen stattfinden. Insgesamt leben 138.408 Rumänen und 35.879 Bulgaren in Österreich. Abgesehen von der Personenbetreuung, der mit Abstand größten Gruppe, sind sie vor allem in den Bereichen Leiharbeit, Reinigung, der Bau- sowie der Landwirtschaft, im Tourismus, dem Handel, mittlerweile aber auch in großer Zahl in der Industrie tätig.

Aufmerksam verfolgen die in Rumänien und Bulgarien engagierten heimischen Unternehmen die Schengen-Debatte, schließlich ist Österreichs Wirtschaft in beiden Ländern der zweitgrößte Investor. Eine führende Rolle in Rumänien nimmt die OMV ein, die 51 Prozent am Öl- und Gaskonzern Petrom hält und bis 2030 Investitionen in Höhe von 30 Milliarden Euro in Rumänien plant. Sowohl OMV als auch Petrom verzeichnen derzeit enorme Gewinne. Das Plus beim Mutterkonzern betrug vor Steuern 3,3 Milliarden Euro im dritten Quartal. Petrom vermeldete umgerechnet knapp 1,1 Milliarden Euro Gewinn - das bedeutet mehr als eine Versechsfachung im Vergleich zum Vorjahresquartal. Zum Schengen-Nein von Innenminister Karner sagte OMV-Konzernsprecher Andreas Rinofner gegenüber der "Wiener Zeitung: "Uns ist jede Maßnahme willkommen, die die Zusammenarbeit und den Austausch der Teams in Österreich und Rumänien erleichtert."

Weniger zurückhaltend in seiner Kritik gab sich zuvor Willibald Cernko, Vorstandsvorsitzender der Erste Group, welche die Mehrheit am rumänischen Branchenprimus BCR hält: "Eine vereinigte EU ist eine, in der alle EU-Bürger dieselben Rechte und Pflichten haben", schrieb er im Netzwerk Linkedin, zitiert vom "Standard". Cernko zufolge gebe es keine Mitglieder der Europäischen Union zweiter Klasse, und das beziehe sich auch auf "die Partizipation im Schengen-Areal".

"Shitstorm" gegen Hervis

Konkurrent Raiffeisen ist ebenfalls in Rumänien vertreten, zählt unter anderem zwei Millionen Privatkunden sowie 5.600 mittlere und große Firmenkunden. Die Aussicht auf den Beitritt Rumäniens zum Schengen-Raum "findet unsere volle Unterstützung", erklärt Christof Danz, Sprecher der Raiffeisen Bank International. Er ortet auf österreichischer Seite "offenbar technischen Klärungsbedarf", bevor aus Wien das Ja zum Beitritt erfolgt: "Wir bedauern diese Situation, sind aber zuversichtlich, dass es den beteiligten Akteuren rasch gelingen wird, offene Fragen vertrauensvoll, faktenbasiert und ergebnisorientiert zu klären."

Von einem "Shitstorm" in Rumänien berichtet Nicole Berkmann, Sprecherin der Spar Holding, welche 44 Hervis-Filialen im südosteuropäischen Land betreibt. Am Freitag sei daher die Öffentlichkeit informiert worden, dass das Management und alle Mitarbeiter Rumänen und Rumäninnen seien. "Ein Boykott wirkt sich also unter Umständen auf den rumänischen Arbeitsmarkt aus", sagt Berkmann, und betont: "Wir sind um Beruhigung bemüht."

Strabag-Chef hofft auf Fortschritt in naher Zukunft

Bereits seit 1991 ist das Bauunternehmen Strabag in Rumänien aktiv, seit 2002 auch in Bulgarien. Die Bauleistung betrug im ersten Halbjahr 130 Millionen Euro. Das macht zusammengerechnet nur 1,7 Prozent an der Gesamtleistung aus, dennoch betont Vorstandsvorsitzender Thomas Birtel, Rumänien und Bulgarien seien "Teil unseres europäischen Kernmarkts". "Wir sind vom wirtschaftlichen Potenzial dieser Länder überzeugt und sehen, dass sie sich in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt haben. In diesem Sinne hoffen wir darauf, dass sich dieser Fortschritt in naher Zukunft auch in Form einer weiteren europäischen Integration widerspiegelt", sagt Birtel der "Wiener Zeitung".

Versicherer Uniqa, der sowohl in Rumänien und Bulgarien aktiv ist, hofft angesichts der harschen Töne aus Bukarest "im Sinne Rumäniens und Österreichs, aber auch der gesamten Europäischen Union, dass möglichst rasch ein gemeinsamer Fahrplan für Lösungen zu den derzeitigen politischen Problemen gefunden wird", so Sprecher Klaus Kraigher.

Hohe Direktinvestitionen heimischer Unternehmen

Keine Stellungnahme wollte die in Niederösterreich beheimatete Rewe International abgeben. Sie ist für die Osteuropa-Aktivitäten des deutschen Lebensmittelriesen zuständig. Nicht auf die Anfrage der "Wiener Zeitung" antwortete die Vienna Insurance Group.

Für Österreichs Unternehmen ist Rumänien nicht nur für Direktinvestitionen interessant, sondern auch als Exportmarkt bedeutend. Im vergangenen Jahr erreichten die Ausfuhren laut WKÖ einen Wert von knapp drei Milliarden Euro, ein Plus von mehr als 25 Prozent im Vergleich zu 2020. Zwar hat das Land seit der politischen Wende vier Millionen Einwohner verloren. Der 19-Millionen-Markt ist für Unternehmen aber auch attraktiv, weil für Rumänien bis zu rund 100 Milliarden Euro an EU-Förderungen bis 2027 zur Verfügung stehen.

Die Warenexporte nach Bulgarien sind ebenfalls gestiegen, mit 9,2 Prozent im Jahr 2021 allerdings deutlich geringer als in Rumänien. Auch das Gesamtvolumen von 863 Millionen Euro ist niedriger. Mit 6,9 Millionen Einwohnern ist das Schwarzmeer-Land aber auch ein deutlich kleinerer Markt. Jedoch einer, den die heimischen Unternehmen - wie auch Rumänien - gerne bald im Schengen-Raum sehen würden.