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Stiller Exodus aus dem Paradies

Von Christoph Rella aus Fidschi

Wissen
Die Schattenseiten des vermeintlichen Südsee-Paradieses: Immer mehr Bürger verlassen Tuvalu, zurück bleiben die unbrauchbar gewordenen Überreste der modernen Zivilisation.
© © © Ashley Cooper/Corbis

Angesichts der Klimaprobleme verlassen immer mehr Menschen Tuvalu.


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Suva. Roselise will nur noch weg. Einsam wartet sie im Empfangsraum des "Tuvalu-House" in der fidschianischen Hauptstadt Suva auf ihre Papiere. Es ist kurz nach 14 Uhr, die Schalter der Botschaft sind noch geschlossen. Geht alles gut, würde sie bereits in wenigen Monaten in ihrer neuen Heimat Neuseeland ihre Zelte aufschlagen, sagt sie. Und Tuvalu für immer den Rücken kehren. Wie so viele andere. "Ich bin nicht die Einzige, die daran denkt, wegzugehen", fügt sie hinzu. "Meine Schwester hat einen Fidschianer geheiratet und lebt jetzt in Suva."

Die Ursache dafür, warum immer mehr Menschen aus dem nur 10.500 Einwohner zählenden Tuvalu das Weite suchen, liegt weniger in seiner außergewöhnlichen geografischen Lage als in den sich häufenden Naturphänomenen und Problemen begründet, denen Tuvalu seit Jahren ausgesetzt ist. Denn zu der bisher bekannten Bedrohung, nach einem weiteren Anstieg des Meeresspiegels bis 2050 möglicherweise im Pazifik zu versinken, hat sich zuletzt eine weitere eingestellt: Den insgesamt neun Atollen geht das Trinkwasser aus.

"Bei uns hat es seit sechs Monaten nicht mehr geregnet", klagt der stellvertretende Botschafter Tuvalus in Suva, Avafoa Irata, gegenüber der "Wiener Zeitung". Zwar sei man Dürreperioden bereits gewohnt, allerdings sei es heuer besonders schlimm. "Unsere Bäume und Pflanzen sterben, aber auch das Leben unserer Bürger ist in Gefahr", sagt Ifrata. Um die Not zu lindern, haben nun Spezialisten aus Neuseeland, Australien und Japan zwei Meerwasserentsalzungsanlagen auf der Hauptinsel Funafuti installiert, die 43.000 Liter Trinkwasser pro Tag für die Bevölkerung bereitstellen sollen. "Nächste Woche soll eine dritte Anlage aus Neuseeland eintreffen", sagt der stellvertretende Botschafter.

Für Touristen gesperrt

Ob diese Maßnahmen ausreichen, ist fraglich. Wie der örtliche Katastrophenschutz in einem Bericht der Tageszeitung "The Fiji Times" bestätigte, sind zur Deckung des täglichen Bedarfs mindestens 79.000 Liter notwendig. Die Trinkwasserreserven wurden daher auch schon mit 40 Litern pro Familie rationiert. Davon betroffen sind auch die Verwandten von Roselise, die auf dem nur 2,8 Quadratkilometer großen Atoll Nui, das rund 200 Kilometer nordöstlich von Funafuti liegt, leben. "Die Leute haben schon angefangen, in ihrer Not händisch Brunnen zu graben", erzählt sie. Allerdings würden viele Quellen rasch versiegen. Rasche Hilfe aus der Hauptstadt ist nicht zu erwarten. Nui besitzt kein Flugfeld.

Klimaexperten führen die lange Trockenheit auf Tuvalu auch auf das Wetterphänomen "La Nina" zurück, das ungewöhnlich starke und lang anhaltende Passatwinde mit sich bringt und dadurch die Bildung von Wolken über diesem Teil des Stillen Ozeans verhindert. Und an dieser grundlegenden Konstellation soll sich auch nicht so rasch etwas ändern. Glaubt man den Prognosen der Meteorologen, dürfte der nächste Regen erst wieder im Dezember fallen. Bis dahin ist die Bevölkerung von Tuvalu auf fremde Hilfe angewiesen.

Um die Lage nicht zu verschärfen, werden seit Wochen auch keine Touristen mehr in das Land gelassen. "Wir nehmen die Situation sehr ernst", sagt Botschafter Irata und schließt nicht aus, dass aufgrund der Klimaprobleme in absehbarer Zeit Teile der Bevölkerung umgesiedelt werden müssen. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass es Tuvalu eines Tages nicht mehr geben wird", so der Diplomat.

Die Hoffnungen der Einwohner Tuvalus ruhen damit auf Neuseeland. Die Regierung in Wellington hat sich verpflichtet, pro Jahr zumindest 75 Migranten aus Tuvalu - darunter diesmal auch Roselise - aufzunehmen. Ganz glücklich scheint die 20-Jährige mit ihrer Entscheidung dennoch nicht zu sein. "Wir beten und legen alles in Gottes Hände", sagt sie seufzend und verabschiedet sich. Beim Verlassen des Gebäudes wandert ihr Blick gen Himmel. Es hat zu regnen begonnen.