2011 war ein Jahr des "gefühlten Stillstands", aber die Krise war für die meisten Menschen in Österreich gar nicht spürbar.
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2011 war angeblich das Jahr des Stillstands. Es ist jedoch bei weitem nicht so, dass die Politik nichts weiter gebracht hätte: Der Beschluss zur Neue Mittelschule hat den Streit über die Ausbildung der Zehn- bis 14-jährigen beendet, die Kinderrechte wurden in der Verfassung verankert, die Kärntner Ortstafelfrage wurde gelöst, und das Medientransparenzgesetz stärkt (hoffentlich) den unabhängigen Journalismus und vieles mehr. Was hat es also mit dem "gefühlten Stillstand" auf sich?
2011 war auf jeden Fall das Jahr der Krise. Im Gegensatz zum gefühlten Stillstand war diese für die meisten Menschen in Österreich gar nicht spürbar, für viele war sie lediglich eine mediale Angelegenheit. Ist ja auch klar: Österreich steht trotz nachlassender Konjunktur gut da. Was also macht die Menschen so unzufrieden mit der Politik? Ist es vielleicht die Unzulänglichkeit des trotz allem besten Politikmodells, nämlich jenem der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie?
Die Unzulänglichkeit besteht wohl darin, dass die Menschen sich in diesem System jahrzehntelang von jenen Politikern ihre Stimme abkaufen ließen, die für sie - frei nach dem Kreisky-Motto "ein paar Milliarden mehr Schulden bereiten mir keine schlaflosen Nächte" - mit dem Geld ihrer Kinder und Enkel den Wohlfahrtsstaat von heute geschaffen und finanziert haben. Und die Unzufriedenheit kommt sicher auch ein Stück weit daher, dass dieselben Menschen nun realisieren, dass dieser Wohlfahrtsstaat von vielen Privilegien und fehlender Nachhaltigkeit geprägt und daher nicht zukunftsfähig ist. Und kommt die Hilflosigkeit von uns Politikern in dieser Situation nicht auch zum Teil daher, weil wir nicht wissen, ob unsere Auftraggeber - die Wähler - tatsächlich bereit sein werden, das Tun des Notwendigen bei Bilanzlegung am Wahltag auch zu honorieren?
Die ÖVP ist bereit, dieses "Risiko" zu tragen. Unsere Vorschläge zur Eindämmung der Frühpensionen, zur Evaluierung der Mindestsicherung, zur Straffung der Gesundheitsversorgung, zur Kürzung der ÖBB-Zuschüsse, zur Durchforstung des Förderdschungels und zur Reformierung des öffentlichen Dienstrechts und der Verwaltung sind jedenfalls nicht darauf ausgerichtet, weiterhin ungerechtfertigte Privilegien zu schützen und den Boden für eine weitere Erhöhung der Steuer- und Abgabenquote zu bereiten.
Wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, wie wir - bei allem Bekenntnis zur repräsentativen, parlamentarischen Demokratie - die Bevölkerung wieder stärker in die Entscheidungsprozesse einbinden können. Eine Möglichkeit dazu stellt die Einführung eines Gesetzes-Initiativrechts der Bürger dar. Neben all den dringend notwendigen Reformmaßnahmen an unserem wohlfahrtsstaatlichen System müssen wir jedenfalls 2012 auch an einer Weiterentwicklung unseres politischen Systems arbeiten. Über alledem sollten wir nicht übersehen, was vorige Generationen, aber auch wir, gemeinsam in diesem Land geschaffen haben. Um es zu bewahren, müssen wir aber einiges ändern. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Gesundheit, Schaffenskraft und Erfolg im neuen Jahr!