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Stimmauszählung sorgt in Albanien für Aufruhr

Von Klaus Huhold

Europaarchiv

Sozialist droht mit Volksrevolte. | Tirana. Die Anhänger der Sozialistischen Partei sind in Albanien auf den Barrikaden. Sie sorgten am Freitag in Tirana für Proteste vor der Zentralen Wahlkommission, bei Zusammenstößen mit der Polizei wurden ersten Berichten zufolge mindestens drei Menschen verletzt. Die Sozialisten sehen ihren Parteichef Edi Rama als Opfer eines Komplotts: Dem amtierenden Bürgermeister von Tirana solle der Wahlsieg in der Hauptstadt geraubt werden.


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Das Ergebnis dort ist denkbar knapp. Zunächst wurde bekannt gegeben, dass eigentlich Rama bei rund 250.000 gültigen Stimmen zehn Stimmen Vorsprung hätte. Dann überprüfte aber die Wahlkommission ein paar hundert Stimmen neu, die in falschen Urnen gelandet sein sollen. Plötzlich lag Ramas Gegenkandidat Lulzim Basha mit etwa 50 Stimmen vorne. Die Überprüfung des Ergebnisses sei aber noch nicht abgeschlossen, verkündete die Wahlkommisson zunächst am Freitag. Basha gehört der Demokratischen Partei an, die in Albanien die Regierung stellt, während Ramas Sozialisten auf Landesebene in der Opposition sind.

Die Stimmung heizt sich immer mehr auf: Rama drohte mit einer "Volksrevolte", sollte sein Sieg in eine Niederlage umgemünzt werden. Und den Sozialisten nahestehende Medien sprechen bereits von einem "Wahlverbrechen".

Der Sozialisten-Anführer steht jedenfalls mit dem Rücken zur Wand. "Bei einer Niederlage in Tirana würde Rama seine Machtbasis verlieren", sagt der Historiker und Albanien-Experte Martin Prochazka zur "Wiener Zeitung". "Es wäre sehr fraglich, ob er sich noch an der Spitze der Sozialistischen Partei halten könnte." Rama bleibt also derzeit gar nichts anderes übrig, als von Wahlbetrug zu sprechen. Andererseits vermittelt die Stimmauszählung der Wahlkommission tatsächlich eine schiefe Optik.

Land ist polarisiert

Für eine Beruhigung der Lage könnte laut Prochazka vielleicht die internationale Gemeinschaft sorgen, wenn sie sich zur Wahl äußert. EU und USA haben den Urnengang genau beobachtet. "Sie werden als die einzig glaubwürdige Instanz in Albanien wahrgenommen", betont der Polit-Analyst.

Sonst haben die Albaner kein Vertrauen in ihre Institutionen, diese werden alle einer politischen Partei zugeordnet. Der Machtkampf zwischen der Demokratischen Partei und den Sozialisten hat das Land polarisiert. Ideologische Differenzen gibt es dabei kaum, vielmehr handelt es sich um politische Clans, die Auseinandersetzungen werden auch von persönlichem Hass getragen, berichtet Prochazka.

Genau diese Grabenkämpfe behindern die europäische Integration Albaniens: EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso hat wegen des Wahlstreits einen Besuch in dem Balkan-Land in letzter Sekunde abgesagt.