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Stimmenkauf und Kompromisse

Von WZ-Korrespondent Markus Kauffmann

Europaarchiv

CDU und FDP verlieren Mehrheit. | Länder sträuben sich bei Änderungen in Bundeswehr und bei Studienbeihilfe. | Bundesrat könnte für Regierung Stolperfalle sein. | Berlin. Die Sommerpause haben sich die Mitglieder des deutschen Bundesrates, der Länderkammer, diesmal redlich verdient. Allein in der letzten Sitzung in der Vorwoche standen 80 Punkte auf der Tagesordnung - darunter 27 Gesetzesbeschlüsse. Und es war auch - vorläufig - das letzte Mal, dass Schwarz-Gelb eine Mehrheit von 37 der insgesamt 69 Stimmen in dem Gremium hatte.


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Denn ab Herbst wird sich die neue, am Mittwoch angelobte rot-grüne Regierung in Nordrhein-Westfalen auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat auswirken. Dann werden Union und FDP nur noch über 31 Stimmen verfügen. Das Regieren wird schwieriger.

- Beispiel Sparpaket: Im Herbst will Finanzminister Wolfgang Schäuble den Ländern seinen Haushaltsentwurf präsentieren. Würde das Sparpaket als Block zur Abstimmung stehen, wäre es angesichts der neuen Mehrheiten gefährdet. Deshalb ist die Materie in zwei Gesetze aufgeteilt, sodass die Länder nur noch zur geplanten Streichung des Heizkostenzuschusses für Hartz-IV-Empfänger abstimmen dürfen.

- Beispiel Atomkraft: Union und FDP wollen die Laufzeiten von AKWs verlängern. Die Frage ist, ob diese Verlängerung im Bundesrat zustimmungspflichtig ist oder nicht. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat bereits den Gang zum Verfassungsgericht angedroht, falls die Regierung die Entscheidung am Bundesrat vorbeisteuern will. Dabei hatte schon Bundeskanzler Gerhard Schröder vorgemacht, wie das geht: "Wir können die Atomausstiegsgesetze so formulieren, dass die Zustimmung im Bundesrat nicht benötigt wird." Das tat er dann auch.

- Beispiel Bundeswehr: Bis zum Herbst will der Bundesverteidigungsminister ein Konzept zur künftigen Struktur der Bundeswehr präsentieren. Sollten die Standorte der Bundeswehr wie angedacht reduziert werden, sind Länderinteressen betroffen. Unabhängig von der Parteizugehörigkeit wurde auch schon Widerspruch laut.

- Beispiel Studienbeihilfe (Bafög): Die von der Regierung geplante Erhöhung des Bafög scheiterte bereits in der Vorwoche im Bundesrat. Die Studienbeihilfen für Kinder einkommensschwacher Eltern sollten um zwei Prozent steigen, die Freibeträge um drei Prozent. Doch die Länder sträuben sich gegen die Mehrkosten in Höhe von 160 Millionen Euro jährlich. Das Vorhaben wird daher voraussichtlich im Vermittlungsausschuss landen, der als Schlichtergremium agiert.

Bundesrat als Konsens- statt als Konfliktorgan

Ganz so hatten sich die Verfasser des deutschen Grundgesetzes den Bundesrat nicht gedacht. Im Gegenteil: Die höchste Verkörperung des "kooperativen Föderalismus" sollte ein überparteiliches Korrektiv zum Bundestag sein. Die zweite Kammer sollte ausgleichend und versachlichend wirken, nicht Partei-, sondern Länderinteressen vertreten.

Zum ersten Mal standen jedoch Anfang der 90er Jahre die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat denen im Bundestag diametral entgegen. Prompt setzte Oskar Lafontaine, damals SPD-Vorsitzender, die Länderkammer als Instrument gegen die Regierungsmajorität ein - die "Länderfront" war erfunden. So ließ er im Bundesrat 1997 die von der Union geplante Steuerreform platzen, um ihr im Wahlkampf "Handlungsunfähigkeit" vorzuwerfen.

Unter Kanzler Schröder drehte sich jedoch das Wahlroulette in den Ländern wieder in Richtung Noir. Als am 23. Mai vor fünf Jahren die SPD unter Ministerpräsident Peer Steinbrück die Wahl in Nordrhein-Westfalen verlor, verkündete Schröder noch am Wahlabend vorgezogene Neuwahlen. Er wollte nicht wie sein Vorgänger Helmut Kohl auf Dauer gegen eine Bundesratsmehrheit regieren.

So weit wird die jetzige Kanzlerin Angela Merkel wohl nicht gehen. Denn derzeit geht es um sechs Stimmen, die dem Land Nordrhein-Westfalen zufallen und damit zur Gänze der neuen rot-grünen Regierung. Hatte Schwarz-Gelb also bisher zwei Stimmen mehr als die Mehrheit, so fehlen ihr dafür künftig vier Stimmen.

Reform wirkte sich auf Zustimmungspflicht aus

Um zu verhindern, dass die Länderkammer bei gegenläufigen Mehrheitsverhältnissen der beiden Häuser regelmäßig von der Opposition als Blockadeinstrument eingesetzt wird, wurde ab September 2006 im Zuge der Föderalismusreform I der Anteil zustimmungspflichtiger Gesetze halbiert. Trotzdem bleiben noch genügend Materien übrig, bei denen auch die Länderkammer ein Wörtchen mitzureden hat: Gesetze, die die Verfassung ändern oder solche, die Auswirkungen auf die Finanzen der Länder haben, zum Beispiel über die Lohn- und Einkommensteuer, die Mehrwertsteuer, die Gewerbe- und die Kraftfahrzeugsteuer. Und schließlich Gesetze, die in die Verwaltungshoheit der Länder eingreifen.

Anders als in Österreich, wo die Bundesräte von den Landtagen gewählt werden, entsenden hier die Landesregierungen ihre Vertreter in das Gremium. Streng genommen wird damit die Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative durchbrochen, weil der Bundesrat in Berlin nur aus Vertretern der Exekutive besteht, selbst aber ein legislatives Organ ist.

Abstimmungsverhalten ist vorgeschrieben

Ein weiterer wichtiger Unterschied zu Österreich besteht im gebundenen Mandat. Während die österreichischen Abgeordneten - genauso wie die Mitglieder des deutschen Bundestags - ihr Mandat frei ausüben und dabei niemandem verpflichtet sind, sind hier die Delegierten an Weisungen ihrer Landesregierung gebunden. Wie ein Bundesland abstimmt, wird bereits vorher festgelegt.

So ist damit zu rechnen, dass sich Gesetzesvorhaben öfter in die Länge ziehen. Das lässt sich nur vermeiden, indem entweder Kompromisse geschlossen werden, was die eigene Politik verwässern könnte, oder einzelne Länder mit teuren Geschenken geködert werden, um sie aus dem Stimmblock der Opposition herauszubrechen.

Die Gewichte können sich allerdings im kommenden Jahr verschieben, weil gleich sechs Länder ihre Parlamente wählen. Bis dahin bleibt der Bundesrat für die Regierung eine Stolperfalle.