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Harte Kritik an zentralistischem Kurs der Ministerin. | Anerkennung für Lehrer nötig, sonst leidet Schulsystem. | Wien. Bestenfalls mit einem "Befriedigend", eher aber nur mit einem "Genügend" würde Stefan Hopmann, Professor für Schul- und Bildungsforschung an der Uni Wien, die Performance der Bildungspolitik im abgelaufenen Arbeitsjahr bewerten. "Sie haben sich bemüht", gesteht er Unterrichtsministerin Claudia Schmied und Wissenschaftsminister Johannes Hahn zu, "es ist besser geworden als im Kabinett Gusenbauer, man versucht jetzt mehr, gemeinsam Lösungen und Kompromisse zu finden".
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Aber im Grunde sieht Hopmann vor allem das Unterrichtsministerium auf dem falschen Weg. Während es bei den Universitäten gelungen sei, sich strukturell an die Spitze Europas zu setzen - "man vereinbart Zielvorgaben und lässt die Unis arbeiten" - habe Schmied noch "nicht erkannt, dass die Probleme des Bildungssystems nicht durch einen Geniestreich in der Zentrale zu lösen sind".
Als generelles Problem in Österreich betrachtet Hopmann, "dass die Bildungspolitik eng mit dem jeweiligen großkoalitionären Klima und den vielen Verflechtungen mit Verbänden und Organisationen zusammenhängt". So komme bei Bildungsreformen immer nur der kleinste gemeinsame Nenner heraus.
Aus seiner Sicht hat sich Schmied angesichts von zwei Möglichkeiten - "entweder den Gordischen Knoten zu durchschlagen, indem alles auf zentrale Entscheidungen ihres Hauses hinausläuft, oder nur Rahmenbedingungen vorzugeben und dann die jeweils Betroffenen nach Lösungen suchen zu lassen" - für den falschen, den zentralistischen und in der Regel teureren, Ansatz entschieden. Das zeige auch ihr jüngstes Vorhaben, die Landesschulräte durch dem Bund unterstehende Bildungsdirektionen zu ersetzen.
Potenzial verkümmert
Hopmann verweist auf die Schweiz mit ihren vielen Kantonen: "Natürlich gibt es dort Absprachen über den Rahmen der Bildung, aber sonst lässt man die einzelnen Regionen selbständig arbeiten." Hierzulande gäbe es "ungeheuer viel Potenzial an den Schulen", aber es verkümmert, da die Leute daran gewöhnt wurden, "zu warten, was der Minoritenplatz macht".
Seit dem Konflikt über die Arbeitszeit der Lehrer "ist die Stimmung an den Schulen unter dem Gefrierpunkt", konstatiert Hopmann, "wenn man mit Schulleitern und Lehrern spricht, merkt man: Der Frust ist groß!" Die zehn Prozent Mehrarbeit hätten katastrophale Folgen gehabt, zum Beispiel hätten Junglehrer keinen Arbeitsplatz mehr bekommen.
Gerade jemand, der wie Schmied in der Wirtschaft Erfahrungen gesammelt habe, müsste wissen, so Hopmann, dass es nichts bringe, rein zentralistisch vorzugehen und Mitarbeiter auf die Seite zu schieben. Dass den Lehrern öffentliche Anerkennung versagt wird, schade dem ganzen Schulsystem.
Schmied Ansatz bei der Lehrerdiskussion sei zwar richtig gewesen - der Personalkostenanteil am Bildungsetat sei in Österreich zu hoch -, aber dieses Problem sei nicht durch "Mehrarbeit über einen Leisten", sondern nur durch differenziertes Vorgehen zu lösen. Engagierte Lehrer arbeiteten längst weit über das Ausmaß ihrer tariflichen Verpflichtungen hinaus. Der Schulkompromiss mit den gestundeten Mietzahlungen an die Immobilienverwaltung habe nichts gelöst, sondern nur "künftige Haushalte verelendet", da das Geld ja eines Tages fällig werde.
"Derzeit werden Lehrer auch oft für Arbeiten missbraucht, für die es qualifiziertere Leute gibt, etwa als Schreibkraft, als Sozialhelfer, als Statistiker", kritisiert Hopmann, "man müsste beim Dienstrecht und bei der Arbeitsteilung in den Schulen ansetzen, da würde wahrscheinlich auch die Lehrergewerkschaft mitgehen." Es gehe um ernsthafte Autonomie und Dezentralisierung: Schulleiter - die mehr nach Qualität als Parteibuch auszuwählen wären - sollten Budgethoheit haben und selbst entscheiden können, "ob gerade ein Deutschlehrer, ein Sozialpädagoge oder jemand für die Infrastruktur am dringendsten gebraucht wird".
Die "Neue Mittelschule", so Hopmann, sei nicht als echter Gesamtschulversuch, sondern als Versuch, die Hauptschule attraktiver zu machen, zu verstehen. Deshalb beteiligten sich auch viele nur, weil ihnen dadurch mehr Mittel zufließen. Denn die Ergebnisse sagten nichts über Schulstrukturen aus. Wenn man immer auf Finnland und dessen Gesamtschule blicke, müsse man auch sagen, dass dort zwar alle unter einem Dach, aber sehr differenziert unterrichtet werden. "In Finnland gibt es einen Rahmen, aber keine zentrale Kontrolle. Die einzelnen Schulgemeinden haben ein enormes Mitspracherecht, die Schulen können sich so viel flexibler durch die Landschaft bewegen als eine zentral gesteuerte Maschine."
Standards kontra Vielfalt
Gegen eine Zentralmatura und zentral vorgegebene Bildungsstandards hat Hopmann zwar "grundsätzlich nichts" und hält sie für eine "gute Zusatzinformation", warnt aber sofort: "Man kann dadurch die Unterrichtsqualität weder steigern noch garantieren. Dass ein zentral gesteuerter Output mehr Qualität bewirkt, ist empirisch eindeutig widerlegt." Man könne die Qualität auch nicht wirklich vergleichen, das Problem sei, dass man bewusst Aufgaben suchen müsse, die man gut vergleichen könne, also bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten. Damit werde aber "die Vielfalt der Bildungsmöglichkeiten reduziert", die Selbständigkeit im Denken und in der Argumentation werde nicht gefördert.
Auch mit einem Kindergarten-Pflichtjahr für alle kann sich Hopmann nicht anfreunden. "Gibt man allen das Gleiche oder denen mehr, die mehr brauchen?" lautet für ihn die Frage. Seiner Meinung nach sollte man mehr in Programme für Kinder investieren, die punkto Bildung benachteiligt sind, sonst würden die Unterschiede nicht geringer, sondern eher noch größer. In Norwegen oder Finnland sieht es die Öffentlichkeit als Aufgabe an, sich mehr um jene Kinder zu kümmern, bei denen es Probleme gibt. Darum sei auch Finnland Pisa-Spitzenreiter, weil man dort niemanden fallen lässt und dadurch den Durchschnitt hebt, und nicht Bayern, das mehr Spitzenleistungen aufweist.
Stefan Hopmanns Fazit lautet: "Am dringendsten im österreichischen Schulsystem wäre die Einsicht, dass man so komplexe Systeme zentral nicht steuern kann. Mein Appell an die Bildungspolitik: Hört auf, alles zu regeln, setzt einen Rahmen und lasst die Beteiligten - Schulen, Eltern, Gemeinden - selbständig an Lösungen für ihre Situation arbeiten!"