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Stimmung in den USA kippt

Von David Bauder, AP

Politik

Nackte irakische Gefangene, aufeinander gestapelt wie Feuerholz oder an der Leine geführt wie Hunde: Diese Bilder bestimmen nun schon seit zwei Wochen die Debatte über den Irak-Krieg. Erste Berichte über Misshandlungen irakischer Gefangene durch US-Soldaten gab es schon viel früher. Die Nachrichtenagentur AP griff im November Vorwürfe von Ex-Häftlingen auf, der Fernsehsender CNN berichtete im Jänner über Ermittlungen der Streitkräfte wegen möglicher Misshandlungen. Doch erst die Monate später veröffentlichten Fotos verhalfen dem Thema zum Durchbruch.


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Die Macht der Bilder wird auch durch ein weiteres, grausiges Ereignis illustriert: Den Tod des amerikanischen Geschäftsmanns Nick Berg im Irak. Hätten seine Mörder nicht ein Video mit der Enthauptung ihrer Geisel veröffentlicht, so wäre Bergs Ermordung wohl eine Randnotiz geblieben. Zwar zeigte wenigstens in der westlichen Welt kein Sender tatsächlich die Enthauptung des Amerikaners - doch sein mit einem Messer bewaffneter, kapuzentragender Henker und das sichtbare Entsetzen Bergs reichten.

Die Weltöffentlichkeit erlebt die Geschehnisse im Irak als Krieg der Bilder. Diese Bilder können öffentliche Meinung und politisches Handeln erheblich beeinflussen. Große symbolische Wirkung entfalteten zum Beispiel die Aufnahmen vom Sturz der überlebensgroßen Saddam-Hussein-Statue in Bagdad, von Präsident George W. Bushs triumphalem Auftritt auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln, von den verkohlten und verstümmelten Leichen von vier amerikanischen Zivilisten in Falludscha. "Das ist Wahrheit in einer Form, wie sie Worte nicht beschreiben können", sagt Edward Trayes, Professor für Fotojournalismus an der Universität Temple.

Auch von früheren Kriegen gibt es Aufnahmen mit hohem Symbolgehalt. Die bekannteste ist wohl das Foto der kleinen Vietnamesin, die unbekleidet und mit schreckverzerrtem Gesicht vor einem Napalm-Bombenangriff auf ihr Dorf davon rennt.

Der Irak-Krieg aber ist durch eine nie da gewesene Verfügbarkeit an Bildern aus verschiedenen Quellen gekennzeichnet. Dank digitalen Kameras, einer Fülle von Fernsehteams und dem Internet können die Aufnahmen außerdem sehr schnell verbreitet werden. Dieser technische Fortschritt wird in einer tief gespaltenen Welt eifrig genutzt, um den jeweils genehmen politischen Standpunkt zu stützen.

Wie stark sich Bilder auf die öffentliche Meinung auswirken, macht eine am Mittwoch veröffentlichte Umfrage deutlich. Die Stimmung in den USA ist der Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Pew zufolge nach der Veröffentlichung der Misshandlungsfotos gekippt: Zum ersten Mal, seit Pew Umfragen zum Irak-Krieg durchführt, äußerte sich eine Mehrheit der befragten US-Bürger negativ. 51 Prozent erklärten, der Krieg laufe nicht gut - vor der Veröffentlichung der Folterbilder meinten dies nur 41 Prozent. 76 Prozent der Befragten hatten die Aufnahmen gesehen.

Ehe die Fotos über die Fernsehbildschirme weltweit gingen, drangen die Misshandlungen dagegen gar nicht ans Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit. Schmerzlich musste dies die CNN-Reporterin Barbara Starr erfahren, die vor der Ausstrahlung der Fotos durch den Konkurrenten CBS schon vier Mal über die Vorwürfe berichtet hatte. "Es ist ganz klar, dass möglicherweise furchtbare Misshandlungen stattfanden, aber es war keine große Geschichte, bis die Leute diese nahezu pornografischen Bilder sehen konnten", sagt Starr.