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Stimmungstest an der Mur

Von Walter Hämmerle

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Über nichts berichten Journalisten lieber als über die geheimen Strategien der Parteien in ihrem Streben nach mehr Wählerzuspruch. Inhaltliche Debatten laufen dabei - das belegen Analysen der letzten Nationalratswahlen - nur noch unter ferner liefen, quasi als lästige journalistische Pflichtaufgabe.


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Strittig ist hier lediglich die Frage der Verantwortung: Laut den Politikern haben die wenigsten Journalisten wirkliches Interesse an konkreter Sachpolitik, und noch dazu würden sie sich klammheimlich ohnehin für die besseren Politiker halten.

An dieser Einschätzung ist zweifellos nicht alles falsch, wobei man sicherlich auch die Leidenschaft der hiesigen Spitzenpolitiker an sachpolitischen Auseinandersetzungen in Zweifel ziehen kann.

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So weit so gut - und nun zum eigentlichen Thema, zu den Grazer Gemeinderatswahlen am 20. Jänner und den Strategien der Stadtparteien um die Stimmen der rund 190.000 wahlberechtigten Bürger.

Zur Ausgangslage: Die ÖVP unter Siegfried Nagl wurde bei den Wahlen 2003 dank der Selbstzerfleischung der einst dominanten SPÖ (25,7 Prozent) und dem Absturz der FPÖ (8) zur stimmenstärksten Fraktion mit 36 Prozent. Eigentlicher Sieger waren allerdings die Kommunisten unter Ernest Kaltenegger, die es auf unglaubliche 21 Prozent schafften. Die Grünen kamen damals auf schwache 8,4 Prozent.

Mittlerweile hat sich das Stimmungsrad an der Mur jedoch weiter gedreht. Der freundliche Kommunist Kaltenegger sitzt als Klubchef im Landtag, die FPÖ ist wieder auf dem aufsteigenden Ast und mit dem BZÖ tritt eine weitere populistische Gruppierung rechts der Volkspartei an. In weniger abstrakten Worten: Bürgermeister Siegfried Nagl hat berechtigten Anlass zur Sorge um seinen Job.

In ihrer Not nehmen nun die Stadt-Schwarzen Zuflucht bei einem radikalen Vorzugsstimmenmodell, mit dem schon die niederösterreichische ÖVP bei den letzten Nationalratswahlen experimentiert hat, allerdings mit überschaubarem Erfolg. Demnach entscheidet einzig und allein die Zahl der erreichten Vorzugsstimmen, ob ein Kandidat einzieht; ausgenommen sind außer dem Bürgermeister nur die drei weiteren ÖVP-Stadträte. Damit entscheidet nicht länger der Listenplatz über die Mandatschancen.

Die strategische Idee dahinter: 70 Vorzugsstimmen-hungrige Kandidaten karren mehr Wählerstimmen herbei, als wenn nur jene laufen, die laut Listenreihung mit einem relativ fixen Mandat rechnen können. Angesichts der Ausgangslage können ja leicht ein paar Stimmen den Ausschlag über Sieg oder Niederlage geben.

Das radikale Modell ist aber, wie man in Niederösterreich im Vorjahr gesehen hat, nicht ohne Tücken. Tatsächlich sind einander die schwarzen Kandidaten damals vor allem bei der eigenen Kernklientel gegenseitig auf die Zehen gestiegen, statt um Stimmen der konkurrierenden Parteien zu buhlen. Man blieb quasi unter seinesgleichen. In der Politik firmiert diese Sehnsucht gemeinhin unter Fehlbesetzung.