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Stockholm brennt

Von WZ-Korrespondent André Anwar / WZO

Politik

Ausschreitungen weiten sich aus, Augenzeugen werfen der Polizei Rassismus vor.


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Stockholm. Das malerische Stockholm hat eine Kehrseite. Während die einheimischen Schweden fast ausschließlich in der wohlhabenden Innenstadt und einigen beschaulichen Vororten wohnen, kommen Einwohner mit südländischem Hintergrund normalerweise nur zur Arbeit in die Stadt. Nach Dienstschluss verschwinden sie wieder in ihre deprimierenden, weitab liegenden Betonvororte. Normalerweise ist es dort sehr ruhig.

Doch inzwischen brennen dort Autos und Schulen. Öffentliche Plätze wurden verwüstet. Die Polizei musste anrücken, um die Löscharbeiten der Feuerwehr zu beschützen. Erwachsene, Jugendliche und sogar Kinder im Alter von zwölf Jahren standen herum und schmissen Steine auf Beamte und Feuerwehrleute.

"Es läuft folgendermaßen ab: Die zünden irgendwo was an. Die Feuerwehr kommt zum Löschen. Die Polizei muss dann die Feuerwehr schützen. Dann fliegen die Steine und der ganze Zirkus zieht weiter", beschreibt Polizeisprecherin Diana Sundin die vergangenen Nächte.

Zwischen 50 und 100 Krawallmacher

Begonnen hatte der Aufruhr in der Nacht zum Montag im Vorort Husby. Die Polizei schritt in Kampfanzügen ein. Zwischen 50 und 100 Krawallmacher zählte die Polizei. In Husby standen eine Vorschule und ein Kunst- und Handwerksvereinsgebäude in Flammen. Zudem wurde ausgerechnet im als Vorbild für Integration auserkorenen Stadtteil Skärholmen eine Schule angezündet. In den folgenden Nächten weiteten sich die Ausschreitungen auf weitere Vororte Stockholms aus, in der Nacht auf Donnerstag auch auf Malmö, die drittgrößte Stadt des Landes, aus, mindestens drei Autos brannten dort. Mehrere Personen wurden festgenommen.

Polizei erschießt 68-jährigen Immigranten

Fahd Luyomba, Gründer eines Jugendzentrums in Husby, hält die Perspektivlosigkeit für den Hauptgrund. "Hier herrscht enorme Arbeitslosigkeit und keinerlei Zukunftshoffnung." Ein Polizeieinsatz in Husby vor einer Woche, bei dem ein 68-jähriger Mann mit Einwanderhintergrund von der Polizei erschossen wurde, gilt als auslösender Faktor für die Unruhen. Der Mann verbarrikadierte sich in einer Wohnung mit einer Machete. Er soll offensichtlich psychisch krank gewesen sein. Die Polizei versuchte zunächst, den Mann in länger anhaltenden Verhandlungen zum Aufgeben zu bewegen. Dann stürmten Beamte die Wohnung in Husby. Der 68-Jährige lief in Angriffshaltung mit der Machete auf sie zu. Einer der Polizisten drückte den Behörden zufolge zu schnell ab und tötete den Mann.

Die Stockholmer Vororte gelten im Gegensatz zu denen in London oder Paris nicht als besonders gefährlich. Augenzeugen äußerten sich in schwedischen Medien negativ über das Vorgehen der Polizei. Die Polizisten hätten die jugendlichen Krawallmacher noch mit rassistischen Aussprüchen wie "Neger, Affen und Ratten" angestachelt. Im Zuge ihrer Deeskalationsstrategie reagierte die Polizei sofort mit einer Selbstanzeige, um den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe zu prüfen. Andere kritisieren hingegen die Randalierer. "Die machen den Rassismus in Schweden nur noch schlimmer. Diese Idioten", sagte ein junges Mädchen dem schwedischen Radio SR.

Der rechtsliberale Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt kündigte einen verstärkten Fokus auf Schule und Berufschancen an. Zunächst gelte es aber, durch erhöhte Polizeipräsenz in den Problemvierteln Recht und Ordnung wiederherzustellen. Die sozialdemokratische Opposition kritisierte Reinfeldt. Der habe nichts für die Einwanderer gemacht. Seit seiner Amtsübernahme 2006 habe er vor allem Steuern für Unternehmen gesenkt, statt den sozial Schwachen zu helfen. Für die rechtspopulistischen Schwedendemokraten wiederum lautet die Lösung weniger Einwanderung.