Die Zahl der Schneetage hat sich bei uns in den letzten Jahrzehnten halbiert.
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Wenn er zur Weihnachtszeit leise rieselt, freuen sich vermutlich fast alle. Für jene, denen zwei Brettln die Welt bedeuten, soll er vor allem "gführig" sein. Wer das richtige Gespür für ihn besitzt, wie Fräulein Smilla in einem bekannten Roman von Peter Hoeg, kann auch erkennen, ob hinter einem scheinbaren Unfall nicht ein Verbrechen steckt. Er kann Missmut und sogar Lebensgefahr auslösen, wenn er zur falschen Zeit am falschen Ort oder zu rasch in großen Mengen auftritt. Und man kann ihn - oder jedenfalls Substanzen mit der gleichen Bezeichnung - in der Küche schlagen oder als Droge schnupfen (auch in dieser Form sollen ihn prominente Wintersportler schon genossen haben).
Die Rede ist von Schnee, dem in unseren Breiten unentbehrlichen Attribut für echten Winterzauber. In der glitzernden weißen Pracht einer malerischen Winterlandschaft geht nicht nur passionierten Skiläufern das Herz auf. Wer erinnert sich nicht gerne an stimmungsvolle Schlittenfahrten oder ausgelassene Schneeballschlachten? War man nicht stolz auf einen selbst gebauten Schneemann mit Kohlenaugen und Karottennase?
Und Songs wie dem von Irving Berlin komponierten Weihnachtslied "White Christmas" lässt sich nicht absprechen, dass sie große Emotionen wecken. Nicht zufällig gilt die von Bing Crosby gesungene, 1947 veröffentlichte Version mit geschätzten 50 Millionen Stück Absatz als die meistverkaufte Single aller Zeiten.
Neben der Freude an der weißen Pracht darf man aber die unzähligen Menschen nicht vergessen, die durch oder auf Schnee um ihre Gesundheit, vielleicht sogar um ihr Leben gekommen sind - nicht nur auf gefährlichen Expeditionen in hochalpine oder polare Regionen, sondern auch als Unfallopfer auf Pisten oder verschneiten Straßen, begraben unter Lawinen oder erfroren nach plötzlichen Kälteeinbrüchen. In Österreich starben 102 Menschen im Winter 2012/2013 an Alpinunfällen, im Winter davor waren es 93.
Das Wichtigste zum Thema Schnee - von seiner Entstehung und seinen Eigenschaften bis zu seiner Bedeutung für das Klima - fasst das kürzlich veröffentlichte Buch "Schnee" - herausgegeben vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) - ausführlich zusammen.
Sechsfache Symmetrie
Was ist Schnee? Er ist nicht nur der Stoff, aus dem Winterträume sind, nicht nur Energiespeicher und Lebensraum, sondern auch ein hochinteressantes Feld für die Forschung. Schneekristalle sind nichts anderes als Eis, also gefrorenes Wasser. Wenn sich feine Wassertropfen in der Atmosphäre ansammeln, gefrieren sowie anschließend weiteren Wasserdampf aus der Umgebung aufnehmen und Wolken bilden, in denen Eiskristalle wachsen, so entsteht Schnee. Man spricht von Nukleation, wenn Partikel in der Luft - Nukleationskeime wie Staubkörner oder Pollen - die Tropfenbildung aus vielen Wassermolekülen beschleunigen.
Bei Wasser ist der Abstand, den die Moleküle im festen Zustand einnehmen, größer als der in ihrem flüssigen Zustand. Durch die spezielle Form des Wassermoleküls mit einem Sauerstoff- und zwei Wasserstoffatomen kristallisiert Wasser unter Normalbedingungen immer in sechseckiger Form. Bei sternförmigen Schneekristallen lässt sich diese sechsfache Symmetrie schon mit bloßem Auge betrachten. Sie ist bereits in Schriften aus dem alten China dokumentiert. Bei uns hat sie erstmals der Astronom Johannes Kepler 1611 in der Monographie "Vom sechseckigen Schnee" beschrieben. In den 1930er Jahren züchtete der Japaner Ukichiro Nakaya Kristalle im Labor und entwarf einen Überblick über ihre Vielfalt, das "Nakaya-Diagramm".
Jeder große Eiskristall ist einzigartig, schreibt der Experte Henning Löwe: "Bei einem Durchmesser von einem Millimeter enthält ein einziger Eiskristall rund 10 hoch 20, also 100 Trillionen Wassermoleküle. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Kristalle identisch sind, dass also alle Moleküle am gleichen Platz sitzen, ist folglich sehr gering. Auch ein Legohaus, das aus 10 hoch 20 Steinen besteht, ließe sich kaum zweimal exakt auf die gleiche Art bauen."
In den 1940er Jahren sprühte ein Forscherteam in Kanada Wasser in einen unterkühlten Windkanal, um die Vereisung von Düsentriebwerken zu untersuchen. Der lästige Schnee, der dabei entstand, störte bei den Experimenten, aber das Grundprinzip der Schneemaschinen war gefunden. Heute werden in der Schweiz rund 39 Prozent der Pisten technisch beschneit, in Österreich rund 67 Prozent und in Italien fast 70 Prozent.
Weil künstlicher Schnee nicht durch Kristallbildung aus Wasserdampf, sondern durch Gefrieren von Wasser hergestellt wird, besteht er aus lauter kleinen Eiskugeln. Somit ist er dichter und härter. Findigen Köpfen gelang es auch, Schnee im Labor so herzustellen wie in der Wolke, also durch Kristallbildung aus Wasserdampf. Mit einer solchen Labor-Schneemaschine lassen sich aber nur geringe Pulverschneemengen herstellen, die gerade für Forschungszwecke reichen.
Schluckt Schall und Fall
Da Neuschnee ein hervorragender Schallabsorber ist, dient seine Struktur sogar als Vorbild für industriell hergestellte schallabsorbierende Materialien. Neuschnee kann bis zu 95 Prozent aus Luft bestehen, weshalb er sich hervorragend als Aufprallschutz eignet. Darum können Extremsportler sogar Sprünge aus 100 Meter Höhe in einen Schneehang überleben, ins Wasser wäre ein solcher Sprung tödlich. Doch Schnee verändert sich, die Schneekristalle verlieren rasch ihre faszinierende Form. Wenn der Schnee nur noch 45 Prozent Luft enthält, spricht man von Firn. Durch weitere Verdichtung entsteht schließlich Eis.
Eine Schneedecke ist eine Verwandlungskünstlerin. Sie lässt einen manchmal bis zur Hüfte einsinken, dann wieder kann man darauf stehen, ohne einzubrechen. Und manchmal zerbricht sie urplötzlich und donnert als Lawine den Hang hinunter. Die Pflanzen mit den extremsten Anpassungen an Schnee und Kälte sind vermutlich Schneealgen, deren rötliche Sporen sich im Frühling auf der Schneeoberfläche sammeln. Sie haben sogar das Interesse der Marsforscher geweckt, denn sie können Temperaturen von minus 196 Grad Celsius überstehen und bis zu 25 Jahre ausgetrocknet auf geeignete Lebensbedingungen warten.
Es gibt auch menschliche Überlebenskünstler in Eis und Schnee, die Inuit oder Samen. Die norwegischen Samen kennen und benutzen für Schnee über 300 Begriffe, die ihr immenses Wissen über unterschiedliche Schnee-Eigenschaften widerspiegeln.
Die schneebedeckte Landfläche auf der Nordhalbkugel schwankt jedes Jahr zwischen etwa zwei Millionen Quadratkilometern im August und 45 Millionen Quadratkilometern im Jänner. Dieser Unterschied an Schneemassen ist gewichtsmäßig so groß, dass er sogar die Rotation der Erdachse messbar beeinflusst.
Die Schweizer Experten schreiben: "Schnee ist die einzige Klimakomponente, die das Gesicht unseres Planeten quasi über Nacht komplett verwandeln kann." Die Landoberfläche der Nordhalbkugel ist in der Mitte des Winters in der Regel zu beinahe 50 Prozent von Schnee bedeckt. Aus Simulationen mit globalen Klimamodellen geht hervor, dass die heutigen Jahresmitteltemperaturen in den polaren Breiten 5 bis 10 Grad C höher wären, wenn der ganze Niederschlag als Regen fallen und somit nie Schnee liegen würde.
Der Klimawandel spiegelt sich im Schneefall. Im Schweizer Mittelland (zwischen Bodensee und Genfer See) wurde in den letzten 20 Jahren an rund 14 Tagen mindestens 5 Zentimeter Schnee gemessen, in den Jahrzehnten davor gab es doppelt so viele Schneetage. Das Fazit der Schweizer Experten lautet, dass am Ende des 21. Jahrhunderts trotz Beschneiung nur noch in wenigen Gebieten oberhalb von 2000 Metern Schneesport möglich sein wird.
Das wird hierzulande vermutlich mehr Leute stören als die Tatsache, dass mit dem schwindenden Schnee auch manche Tiere - wie der Nordamerikanische Pfeifhase oder das Alpenschneehuhn - ihren Lebensraum verlieren.