Zum Hauptinhalt springen

Stoff zum Nachdenken

Von Heiner Boberski

Wissen
Begegnung von Ost und West im Wiener Zwettlerhof.
© Richard Ferkl/Dommuseum Wien

Herzog Rudolf IV. der Stifter und sein Grabtuch geben der Forschung spannende Rätsel auf.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Am Donnerstag erfolgt um 18 Uhr im Schatten des Stephansdomes eine spannende Präsentation: große arabische Schriftzüge im Zentrum des katholischen Wien. In Zeiten eines militanten Islamismus mag Johanna Kandls neues Kunstwerk irritieren. Doch die Schriftzeichen stammen vom Grabtuch von Herzog Rudolf IV., dem Wien seinen Dom und seine Universität verdankt. Wie es dazu kam, dass dieser christliche Fürst in einem mongolischen Seidenstoff mit arabischer Inschrift bestattet wurde, gehört zu den spannendsten Fragen der Kunst- und Kulturgeschichte des Mittelalters.

Rudolf IV., genannt der Stifter, starb am 27. Juli 1365, noch nicht 26 Jahre alt, in Mailand. Wenn sich 2015 sein Tod und die Gründung der Wiener Uni, der Alma Mater Rudolphina, zum 650. Mal jähren, verdient dieser früh verglühte Habsburger intensives Gedenken, meint Annemarie Fenzl, Historikerin und viele Jahre Archivarin der Erzdiözese Wien: "Von Rudolf gibt es Dinge, die es sonst nirgends von einem Fürsten dieser Zeit gibt: die menschlichen Überreste, die Urkunden, das Grabtuch, ein Porträt und sein Stein gewordenes Werk, den Stephansdom."

Der ehrgeizige Rudolf wetteiferte mit seinem Schwiegervater, Kaiser Karl IV., und hatte mit ihm gar nicht zustehenden Aktionen - etwa der Fälschung des "Privilegium maius" (1358/59), in dem er sich den Rang eines Erzherzogs und besondere Rechte anmaßte - Erfolg, wenn auch nicht zu Lebzeiten: Wien wurde Bischofssitz, das Habsburgerreich Erzherzogtum. Nach seinem Tod in Mailand, wohin er, offenbar schon krank, Wochen zuvor aufgebrochen war, wurde sein konservierter Leichnam nach Wien gebracht, vermutlich eingehüllt in kostbaren Seidenstoff aus dem Orient und darüber in eine Rinderhaut. Rudolf wurde schließlich in der Fürstengruft bestattet und in der Barockzeit einmal umgebettet. Als man 1933 sein Grab öffnete, wurde das Grabtuch entnommen.

Markus Ritter, heute Professor für Islamische Kunstgeschichte an der Universität Wien, hat es in einem 2008 gestarteten Projekt der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit der Wiener Universität für Angewandte Kunst untersucht. Er hält es für möglich, dass der Wiener Hof den Stoff schon vor Rudolfs Tod für diesen Zweck erworben hat, denn Rudolf habe seit seinem Amtsantritt "zielgerichtet an der Inszenierung der eigenen Person über den Tod hinaus gearbeitet".

Ritter bevorzugt für das Leichentuch den Begriff "Grabhülle", der Stoff sei Rudolf "wie ein Taucheranzug auf den Körper geschneidert worden". An Stationen der Überführung, sicher in Verona, hat man den Leichnam, mutmaßlich in den Seidenstoff gehüllt, öffentlich ausgestellt. Was diesen Stoff einmalig mache, sei: "Er ist das einzige datierbare und Iran zuzuschreibende Exemplar spätmittelalterlicher Textilkunst, das wir in Händen haben." Einmalig sei auch die große arabische Inschrift mit dem Namen des muslimischen Mongolenfürsten Abu Said, der über Iran und Irak als Sultan regierte. Gold-Seidenstoffe gab es im ganzen Mongolenreich, Design und Webtechnik deuten aber auf eine Herstellung im Iran hin: "Der Stoff war ein Repräsentationsmedium, und das hatte mit der Inschrift nur Sinn zur Lebenszeit des Herrschers. Wir können den Herstellungszeitraum auf 1319 bis 1335 eingrenzen." Solche Stoffe wurden in der Regel in großer Auflage produziert und an hohe Angehörige des Hofes übergeben. Die ungewöhnlich großen Schriftzüge lassen Ritter vermuten, dass das Textil nicht als Kleidung, sondern eher zum Aufhängen als Architekturausstattung gedacht war.

Voreilige Assoziationskette

Mongolische Seidenstoffe waren damals sehr kostbar und kamen - eher als diplomatische Geschenke denn durch Handel - auch nach Europa. Wie Rudolfs Tuch nach Wien oder Mailand kam, ist offen. Ritter bereitet mit der Wiener Restauratorin Regina Knaller eine Publikation über Rudolfs Grabhülle vor. Er kennt sieben europäische Fürstengräber, in denen man vergleichbare Stoffe entdeckt hat. Arabische Schrift war kein Problem. Wenige, so Ritter, haben sie damals in Europa entziffern können, und Orientalisches konnte positiv mit dem Heiligen Land und Christentum assoziiert werden: "Die moderne Assoziationskette von arabischer Schrift zu Islam hat es im Mittelalter so nicht gegeben." Im Text auf Rudolfs Grabtuch sei zwar von Gott die Rede, aber ohne Bezug auf den Islam.

Ein Stoff, dem sich Geschichte und Kunst so intensiv widmen, ist jedenfalls mit Sicherheit ein Stoff zum Nachdenken.