Zum Hauptinhalt springen

Stolperstein Sicherheit?

Von Walter Hämmerle

Politik

Der Bereich der Sicherheitspolitik gilt - nicht nur wegen der umstrittenen Abfangjäger - als einer der größten Stolpersteine auf dem Weg zu einer möglichen schwarz-roten Regierungskoalition. Der Streit dreht sich dabei weniger um die Frage, ob Österreich an einer zukünftigen europäischen Sicherheitsstruktur teilnehmen soll - darauf ist mittlerweile aus allen Parteien ein deutliches "Ja" zu vernehmen. Heftig umstritten ist vielmehr, welchen sicherheitspolitischen Weg unser Land bis dahin einschlagen soll. Zusätzlich verkompliziert wird diese Frage noch dadurch, dass heute noch niemand genau zu sagen vermag, welche Gestalt diese Sicherheitsstruktur Europas einmal annehmen wird und welche Rolle darin die NATO spielen wird. Während sich die ÖVP zu Jahresbeginn für eine "europäische Beistandspflicht" aussprach - und dafür prompt auf Zustimmung bei der FPÖ | stieß -, konterten die SPÖ mit dem Vorschlag einer "Europa-Armee auf freiwilliger Basis" unter Beibehaltung der Neutralität.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Am Dreikönigs-Tag präsentierte ÖVP-Obmann und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel im Rahmen eines 10-Punkte-Programms die sicherheitspolitischen Vorstellungen seiner Partei. Kernpunkt ist dabei ein "klares Ja" zur Vertiefung der EU inklusive einer europäischen Beistandsverpflichtung. Österreich müsse in der Lage sein, so der Kanzler, sein Staatsgebiet zu Land und in der Luft umfassend militärisch zu schützen. Daran, dass dies zumindest partiell das automatische Ende der Neutralität bedeutet, ließ Schüssel keinen Zweifel.

Die Reaktion der SPÖ kam prompt: Als "Brief ans Christkind" charakterisierte der Vorsitzende der Sozialdemokraten, Alfred Gusenbauer, das 10-Punkte-Programm als Ganzes. Zur Frage einer Beistandsverpflichtung meinte er: "Ich halte nichts davon, dass wir über ungelegte Eier diskutieren." Aus heutiger Sicht sei völlig offen, ob es auf europäischer Ebene überhaupt zu einer Beistandsverpflichtung kommen werde. Und im übrigen, so fügte er hinzu, sei die österreichische Sicherheitspolitik durch Neutralität und Solidarität gekennzeichnet.

Überraschenderweise beließ es die SPÖ nun jedoch nicht bei dieser Feststellung. Zwar lehnte auch SPÖ-Europasprecher Caspar Einem die Festlegung auf eine Beistandspflicht ab, brachte aber gleichzeitig die Forderung nach einer Europa-Armee auf freiwilliger Basis als "intelligentere Lösung" in die Diskussion ein. Da Österreich "Teil Europas" sei, müsse die Stärkung der "gemeinsamen Verteidigungsfähigkeit" im Vordergrund stehen. Einen möglichen Widerspruch zwischen Neutralität und Europa-Armee vermag Einem nicht zu erkennen.

Zwar räumte Einem ein, dass beide sicherheitspolitischen Vorschläge "momentan nicht wirklich heiß" seien. Er vermute jedoch in dem VP-Vorstoß eine Weiterentwicklung der früher angestrebten NATO-Mitgliedschaft, weshalb dieser abzulehnen sei.

Streit um Zukunftsfähigkeit der Neutralität

Tatsächlich trennen ÖVP und SPÖ in ihren sicherheitspolitischen Vorstellungen Welten. Während die ÖVP davon überzeugt ist, dass das Konzept der Neutralität durch das Ende des Kalten Krieges, den EU-Beitritt Österreichs und das Zusammenwachsen Europas für Österreich ausgedient hat, hält die SPÖ nach wie vor daran fest. Sämtliche Ansätze in der Vergangenheit, von dieser Position abzukommen, waren in den letzten Jahren zum Scheitern verurteilt.

Schon die Einigung zwischen ÖVP und SPÖ auf einen gemeinsamen "Optionenbericht" zur Verteidigungspolitik scheiterte 1998 am einem Halbsatz, der lediglich auf das prinzipielle Offenhalten der NATO-Option für Österreich hinauslief.

Dieser Graben durch die sicherheitspolitischen Vorstellungen macht auch vor den beiden kleineren Parteien nicht Halt. Ebenso wie die ÖVP sieht auch die FPÖ in der Neutralität Österreichs kein zukunftsweisendes Konzept mehr. Für die Grünen bedeutet ein Nachdenken über deren Ende einen mindestens so großen Tabubruch wie für die SPÖ.

Umstrittener Budgetfaktor Bundesheer

Der Konflikt um die zukünftige Ausrichtung der österreichischen Sicherheitspolitik bleibt auch für das Bundesheer nicht ohne Folgen. Der Streit um den Kauf neuer Abfangjäger - deren Stopp SPÖ und Grüne zur "nichtverhandelbaren Koalitionsbedingung" erklärt haben - ist dabei nur die Spitze des Eisberges.

Die Spitzen des Heeres warnen schon seit langem davor, dass bei gleichbleibender finanzieller Ausstattung das bestehende hohe Niveau nicht länger gehalten werden kann. Vor dem Hintergrund einer Vervier- bis Verzehnfachung der Hardware-Kosten wirken sich die steigender Personal- und sinkenden Investitionsbudgets noch fataler auf die Ausrüstungssituation des Bundesheeres aus.

Ambivalente Haltung der Bevölkerung

Österreichs Bürger stehen dieser Auseinandersetzung um die österreichische Neutralität, glaubt man einer aktuellen Umfrage, offenbar mit gemischten Gefühlen gegenüber. Eine Studie der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik brachte zu Tage, dass sich 73 Prozent der Österreicher für eine gemeinsame europäische Armee aussprechen. 63 Prozent befürworten dabei eine möglichst aktive und umfassende Beteiligung Österreichs.

Wer aus diesen Angaben nun jedoch schließt, die Österreicher hätten sich zumindest innerlich von der Neutralität verabschiedet, liegt falsch: 69 Prozent halten nämlich den Wunsch nach einer Europa-Armee - wie auch die SPÖ - mit der Beibehaltung der Neutralität durchaus für vereinbar.