Oslo · Zweieinhalb Jahre hat es gedauert, ehe Norwegens Sozialdemokraten nach dem freiwilligen Abgang in die Opposition wieder die Regierung in einem der reichsten Länder der Welt übernehmen | können.
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Dass sich der Preis für Öl und Gas aus der Nordsee derzeit in schwindelnden Höhen bewegt und die Osloer Staatskassen in fast unvorstellbarem Maß füllt, kann der kommende Ministerpräsident Jens
Stoltenberg (40) als gute Startbedingung werten.
Ansonsten aber erhielt der in Medien als "norwegischer Kennedy" oder "skandinavischer Blair" mit viel Vorschusslorbeeren bedachte Ex-Öl- und Finanzminister nicht unbedingt gute Noten für die Art,
in der er das vierte nordeuropäische Land neben Dänemark, Schweden und Finnland wieder in sozialdemokratische Hand gebracht hat. Zusammen mit den ihm sonst innenpolitisch durchaus nicht verbundenen
Konservativen zwang er der parlamentarisch sehr schwachen Minderheitsregierung des Christdemokraten Kjell Magne Bondevik (52) den Bau von zwei umstrittenen Gaskraftwerken auf. "Stoltenberg kommt an
die Macht, indem er die umweltpolitische Glaubwürdigkeit seiner Partei verkauft", urteilte "Dagbladet" über diese Strategie.
Die Befürworter der Gaskraft wollen die Abhängigkeit des Landes von Schwankungen bei der Versorgung mit Wasserkraft als absolut dominierender Energiequelle und vom Stromimport aus dänischen
Kohlekraftwerken vermindern. Bondeviks Regierung aber · und mit ihr eine geschlossene Front von Umweltorganisationen · halten den Weg zur Anwendung fossiler Energiequellen für falsch und verweisen
auf den unausweichlichen Ausstoß von mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre.
Wie alle skandinavischen Länder sind die Norweger an Minderheitsregierungen auf wackligem Grund gewöhnt. Dass Bondevik bei nur 42 eigenen von 165 "Stortings"-Mandaten für seine Koalition zweieinhalb
Jahre mit beachtlichem Erfolg wechselnde Mehrheiten sammeln konnte, hat ihm Hochachtung eingetragen. Stoltenberg steht bis zu den Wahlen in eineinhalb Jahren vor derselben schwierigen Aufgabe, auch
wenn seine Partei mit 65 Sitzen allein schon weit stärker ist als die bisherige Koalition.
Um die Rahmenbedingungen dabei dürften ihn Kolleginnen und Kollegen in ganz Europa heftig beneiden. Der Ölpreis hat sich seit 1998 verdreifacht und ist derzeit doppelt so hoch wie von der Regierung
im Haushalt veranschlagt. Aus diesen Überschüssen sind 222 Milliarden Kronen (27,6 Mrd. Euro/380 Mrd. S) in "Ölfonds" einfach als Sparstrumpf für die Renten kommender Generationen auf die Seite
gelegt worden.