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Stoltenberg stürzte in den Umfragen ab

Von Thomas Borchert

Politik

Oslo · An hübschen Geschichtchen mangelte es in Oslo nicht, als Norwegens neuer sozialdemokratischer Ministerpräsident Jens Stoltenberg am Freitag sein Minderheitskabinett vorstellte. Ex- | Außenminister und Ex-Balkan-Vermittler Thorvald Stoltenberg (68), der Vater des 41-Jährigen, sei als Babysitter eingesprungen, weil auch die Ehefrau des Ministerpräsidenten im eigenen Job im | Außenministerium einen hektischen Tag zu erwarten habe.


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Politisch aber hatten die norwegischen Sozialdemokraten bei ihrer Rückkehr an die Regierungsmacht nach zweieinhalb Jahren Opposition einen alles andere als freundlichen Start. Während die

Christliche Volkspartei des abgelösten Ministerpräsidenten Kjell Magne Bondevik in einer Umfrage von 10,4 auf 17,1 Prozent kletterte, stürzte Stoltenbergs Arbeiterpartei von 35,9 auf 30,2 Prozent ab.

Dabei hatte die Partei erst im Februar den bei Umfragen stets als jung, dynamisch, gut aussehend und charmant siegenden Stoltenberg statt des spröden Ex-Ministerpräsidenten Thorbjörn Jagland

in ihre Spitzenposition gehievt, um wieder in der Wählergunst zu steigen und die Regierung zu übernehmen. Tatsächlich legte die Arbeiterpartei in Umfragen kräftig zu, während die parlamentarisch

ohnehin sehr schwache Koalition unter Bondevik abfiel.

Stoltenberg nutzte nur vier Wochen nach seiner Beförderung die erste sich bietende Chance, um die Regierung Bondevik zu stürzen. Zusammen mit den Konservativen setzte er im Storting

gesetzliche Voraussetzungen zur Einführung von Gaskraft durch, die Bondevik und mit ihm die gesamte Umweltbewegung Norwegens wegen vermehrter CO2- Emissionen ablehnen. Der Christdemokrat erklärte,

diesen für die Umwelt schädlichen Beschluss werde er nicht ausführen und erklärte seinen Rücktritt.

Medien und laut Demoskopen auch die Wähler zogen den Hut vor dieser Haltung, während Stoltenbergs Image als Charmeur und "Traummann" ungezählter Norwegerinnen jäh verblasste. Er habe die

Arbeiterpartei mit einer "ganz schlechten Sache" an die Macht zurück geputscht, verlautete missmutig auch aus eigenen Parteikreisen. Zum Regieren ohne feste eigene Mehrheit sind solche

Startbedingungen im politischen Klima Norwegens von einigem Gewicht. Stoltenberg muss nun für eigene politische Vorhaben nicht zuletzt bei der Christlichen Volkspartei, dem Zentrum und der liberalen

"Venstre" um Unterstützung werben, die er nun gerade aus der Regierung verdrängt hat.

Und er muss seine Partei bis zu den Wahlen im kommenden Herbst wieder so attraktiv machen, dass sie deutlich über die 35-Prozent-Marke klettert. Helfen soll dem mit 41 Jahren jüngsten Regierungschef

der norwegischen Geschichte das mit einem Durchschnittsalter von 43,3 Jahren jüngste Kabinett der norwegischen Geschichte.

Der Frauenanteil von 42,1 Prozent mit acht von 19 Kabinettsposten ist für norwegische Verhältnisse eher schwach, nachdem Gro Harlem Brundtland für die erste Regierung der Welt mit einer

gleichen Zahl von Männern und Frauen ja sogar ein Denkmal im fernen Japan bekommen hat.

Politisch gilt Stoltenberg nicht als sozialdemokratischer Erneuerer wie sein britischer Kollege Tony Blair. Beobachter erwarten von seiner Regierung eine international "stromlinienförmigere"

Wirtschaftspolitik als die von Bondevik betriebene. Dessen Mitte-Rechts-Regierung hatte unter anderem Bankenfusionen mit skandinavischen Nachbarn und eine norwegisch-schwedische "Fernseh-Ehe" an

politischem Widerstand scheitern lassen, weil man die nationale Kontrolle sichern wollte.