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Stolz auf mei Dahoam

Von Manfred Rebhandl

Reflexionen
Leberkäs mit Fahne.

Gedanken während einer Reise nach Gunskirchen, den geografischen Mittelpunkt Oberösterreichs.


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Mit den ÖBB war ausgemacht, dass sie mich möglichst schnell vom roten Wien durch das schwarze Niederösterreich ins rote Linz im schwarzen Oberösterreich bringen, denn die Lebensform Erwin Pröll behagt mir überhaupt nicht. Mein Ziel heißt Gunskrichen, das geografischer Mittelpunkt von Oberösterreich ist, und je nachdem, wie gut die Wahlkampf-Grillparty beim dortigen ÖVP-Bürgermeister, der selbstverständlich Pepi heißt und der mich zu diesem Fest eingeladen hat, in die Gänge kommt, heute vielleicht sogar der gesellschaftliche Höhepunkt.

Um Punkt 12 Uhr soll es in "der Sproad", wie seine Adresse auf Oberösterreichisch heißt, losgehen, darauf freue ich mich, jedenfalls auf die Würstel. Aber wenn ich an die ÖVP denke, dann überkommt mich noch immer ein leicht ungutes Gefühl.

Als ich eingeschult wurde, in den 70er Jahren, von denen heute viele sagen, dass sie so lässig waren, so friedlich, so vollbeschäftigt, da hing in Oberösterreichs Klassenzimmern das Kreuz Jesu Christi an der Wand neben dem Porträt des roten Bundespräsidenten Franz Jonas, das wiederum neben dem Bild des roten Bundeskanzlers Bruno Kreisky hing, welches seinerseits neben dem Foto des schwarzen Landeshauptmannes Erwin Wenzl angebracht war, der sich Löwe nannte und von dem es damals schon einen Wahlkampfsong auf Vinyl gab. Es war also ganz schön was los an den Wänden in Oberösterreichs Klassenzimmern.

LASK oder VÖEST

Der eine Teil von uns Kindern ging dann einmal in der Woche am Abend zur Union turnen, der andere zum Askö, denn die Welt war ordentlich aufgeteilt. Die Väter der einen waren Angestellte oder Bauern oder Lehrer, die der anderen waren Arbeiter im örtlichen Sensenwerk oder im Kalkwerk weiter draußen im Tal, oder ganz weit draußen in der VÖEST in Linz. Die einen fuhren eher VW, die anderen eher Opel. Die einen hatten ihr Konto bei der Raika, die anderen bei der Sparkasse. Die einen waren LASK-Fans, die anderen hielten zum Werksklub der VÖEST in Linz.

Wer in die Kirche ging, der war natürlich schwarz, und wer zu Hause blieb, der ersparte sich einiges. Man stand sich unversöhnlich gegenüber, wie der Vater des Kleinen Nick im gleichnamigen Kinderbuch seinem Nachbarn, dem Herrn Bleder, und redete so weit es ging nicht mit "den anderen".

Es war dann 1973, als ich meinen Vater beinahe an die ÖVP verlor. Der ließ sich nämlich auf irgendeinem Stammtisch breitschlagen, in unserem Heimatort bei den Gemeinderatswahlen für "die Schwarzen" als Bürgermeisterkandidat anzutreten. Den ÖAAB-Obmannsessel übernahm er gleich mit dazu, weil sein Vorgänger auf beiden Posten, so ging das Gerücht, mit der Entmündigung seiner damaligen Gattin überbeschäftigt war, das österreichische Eherecht kam ihm damals wohl entgegen.

Mein Vater saß nun während der Woche so ziemlich jeden Abend am Stammtisch, um wahlzukämpfen, nur am Samstag machte er eine Pause und hörte nachmittags Fußball im Radio. Dabei wusch er vor der Garage den Käfer, während "die anderen" ihren Kadett wuschen. Am Sonntag ging er mit uns in die Messe und dann alleine zum Stammtisch, wegen dem Wahlkampf. Es wurde Bier getrunken und Schnaps gekippt und Karten gespielt, Dames und Smart wurden geraucht, und dazwischen besprach man wohl die eine oder andere Grundstückswidmung und den einen oder anderen geschacherten Posten. Die Frauen, die Gattinnen, die Mütter blieben zu Hause bei den Kindern, denn die Frau und die Gattin gehörte für die ÖVP an den Herd, "und den kannst du nicht aus der Küche tragen", hieß es. Oder anders umschrieben von jenen, die ein wenig höflicher waren: "Das Schmuckkasterl nimmst du ja auch nicht mit, das lässt du zuhause." Es lief auf das Gleiche hinaus, und immer wieder hieß es: "Du halt die Goschn!", wenn eine Frau dann doch einmal den Mund aufmachte. Mit den Frauen redeten die Männer nämlich noch weniger gern als mit "den anderen".

". . . die einem auch sagten, wen man zu wählen hatte, nämlich die Unsrigen" - Wahlkampf einst und heute.Foto: Rebhandl

"Hupferter Pepi"

Daran denke ich, als ich in Linz aus dem Zug steige und auf dem Bahnsteig herum hüpfe wie der Landeshauptmann beim Bieranstich in den Bierzelten Oberösterreichs während des gerade laufenden Wahlkampfes, 42 Jahre nach dem meines Vaters. Der Landeshauptmann heißt in Oberösterreich Josef Pühringer oder "Hupferter Pepi", und im Gegensatz zu Erwin Pröll ist er beinahe sympathisch und war einmal so etwas wie weltoffen. Neuerdings aber verliert auch er sich in einem volkstümlichen Wahnsinn und kontert dem "Heimat, meine Berufung" der wahlkämpfende FPÖ mit seinem eigenen "Heimat - meine Leidenschaft". Sein Wahlkampfsong im Internet heißt "Mei Dahoam", und dagegen nahm sich Erwin Wenzls Löwengebrüll wie ein leiser Mäuseschrei aus.

Es ist noch nicht einmal neun Uhr an diesem sehr heißen Sonntag, und der Bahnhof in Linz liegt im Schatten des sogenannten Terminal Towers, der eines der Mahnmäler der Großen Koalition ist. Irgendwann hatten Rot und Schwarz nämlich aufgehört, nicht miteinander zu reden, und nun ermittelt die Staatsanwaltschaft praktisch rund um die Uhr. Allein in diesem Fall gegen 28 Leute . . .

Im Untergeschoss dieses Bahnhofs hat der Leberkas Pepi sein Geschäft. Acht schöne Ziegel liegen in seinen zwei Öfen herum und schwitzen, mit gar nichts drin, mit Chilli drin, mit Spinat drin, mit Champignons und im Frühling ganz sicher auch mit Bärlauch.

Ich nehme ein Bierweckerl mit normalem und denke: Schönere Öfen als der Pepi hat in Linz nur noch die VÖEST, die das industrielle Denkmal "der anderen" war und auf das man blickt, wenn man mit dem Zug von Wien kommend in Linz einfährt. Die VÖEST: Erfinder des LD-Verfahrens und Weltmeister im Stahlkochen, worauf wir dann in der Volksschule sogar lagerübergreifend ziemlich stolz waren.

Wenzl, der Löwe - Wahlwerbung per Vinyl in den 70er Jahren.

In den 80er Jahren durfte ich dann sogar selbst dort arbeiten und ging als Ferialjobber mit satten 15 Tausendern in einer Währung, die damals Schilling hieß, nach Hause, und man hatte das Gefühl, dass Arbeit etwas wert sein könnte. Ich schichtelte in der Kokerei - nicht beim Hochofen, was mir die Häme meiner Freunde einbrachte, die alle dort arbeiteten - und schaufelte heruntergefallene Koksstücke zurück aufs Förderband.

Mein Schichtführer, ein rotes und rotwangiges Urgestein, soff während der Schicht alleine eine Kiste Bier aus, natürlich oberösterreichisches Bier, bis er irgendwann in die wohlverdiente Frühpension ging, die ihm die "Unsrigen" missgönnten, weil das "den Staat" angeblich so viel Geld kostete. Nichts hassen die Schwarzen ja mehr als gut bezahlte Indus-triearbeitsplätze. Die VÖEST machte irgendwann 25 Mrd. Schilling Verlust, was nicht einmal zwei Mrd. in Euro waren, aber fortan hieß es, dass der Staat nicht wirtschaften könne.

Ronald Reagan und Margret Thater schossen damals "die Gesellschaft" in Stücke und bereiteten den endgültigen Sieg des Kapitalismus vor, und sogar die Sozis sprangen auf diesen Zug auf. Die VÖEST, unser aller Stolz, wurde ins Ausland verkauft, denn das Kapital kennt keine "Hoamat". Irgendwann war dann auch der LASK am Ende, und so blieb uns Oberösterreichern nichts mehr, auf das wir stolz sein konnten, außer vielleicht die 17 Rodelbahnen, die es im Land auch gibt.

Mit dem Regionalzug fahre ich weiter entlang der Weststrecke und vorbei an Hörsching und Pasching und anderen Orten, die auf - ing enden, was bei insgesamt 35 oberösterreichischen Orten der Fall ist. 40 Gemeinden nennen sich nach Heiligen, und 44 enden auf -kirchen. Als ich in Gunskirchen aussteige, könnte man Leberkäse auf dem Bahnsteig kochen, vielleicht sogar Stahl, so heiß ist es. Links sieht man in der Ferne den Traunstein flimmern, und rechts sieht man eine von drei Kirchen, die es in Gunskrichen gibt, in schönstem schönbrunnergelb leuchten, leicht erhöht und ein wenig dicklich.

Wähle die "unsrigen"!

Beinahe jede oberösterreichische Gemeinde hatte, als ich eingeschult wurde, zum Pfarrer dazu noch zwei Kapläne, die einem auch sagten, wen man zu wählen hatte, nämlich "die Unsrigen". Aber die Zeiten ändern sich, und es gibt nun immer weniger echte Oberösterreicher, und noch weniger echte oberösterreichische Pfarrer. Darum heißt der im geografischen Mittelpunkt Oberösterreichs Henryk Ostrowski und kommt von irgendwo ganz weit östlich.

Als ich nach dreißig Jahren wieder einmal zur Verkündigung des Evangeliums durch den Seiteneingang in eine Kirche husche, ist es erfrischend kühl, und die Bänke sind überraschend gut gefüllt. Der Pfarrer dehnt das "A" in jedem Amen wie ein liebestoller Franzose, der mit seiner Liebsten Deutsch redet, er wird assistiert von einem blonden Ministrantenengel, der dem jungen Paddy von der Kelly Family ähnlich sieht.

Kaum sitze ich, muss ich schon wieder aufstehen, kaum stehe ich, knien sich alle nieder, und es ist erstaunlich, dass ich nichts vergessen habe vom Ritus, die Abläufe sind noch immer in mir drin. Was dem Menschen eingebläut wird, vergisst er nicht so schnell. In der Predigt geht es dann im Wesentlichen darum, dass Jesus unser aller Brot ist, und in den Fürbitten heißt es überraschend deutlich: "Wir bitten dich, dass die Reichen und Satten umdenken."

In diesen Tagen erleben wir gerade die Voräufer der größten Flüchtlingswelle nach dem Zweiten Weltkrieg. Nächsten Sonntag, verkündet der Pfarrer vor der Verabschiedung noch, steht um 10.45 Uhr die Taufe von René Pichler an. Die Zeiten der Pepis sind wohl endgültig vorbei.

Als ich die Kiche verlasse, ist es so heiß, dass ich mich dringend in ein Stück Schatten flüchten muss, aber wenn man einmal einen Wahlkampftstand braucht, wo Parteien unter einem Sonnenschirm stehend ihre Kugelschreiber und Luftballons verteilen, ist keiner da. Der örtliche Taxifahrer, von dem ich mich "in die Sproad" bringen lassen möchte, hebt nicht ab, und Rosi, die Wirtin des Caféhauses, in das ich mich flüchte, sagt resigniert: "Der hat es wohl nicht nötig!"

Ich verzichte also auf die Würstel und die ÖVP-Wahlkampfveranstaltung beim Bürgermeister von Gunskirchen und lege mich am Bahnhof in den Schatten, bis das Pfeifen der Oberleitung die Ankunft des REX vermeldet, der mich von hier wieder wegbringen soll.

Am Ende ist mein Vater dann doch nicht Bürgermeister geworden, Wahlkampfparties im eigenen Garten haben wir uns erspart. Meine Mutter war hochschwanger damals mit dem fünften Kind in nicht viel mehr Jahren und daher "schlecht beisammen". Sie musste mit dem Auto zur Wahlurne geschleppt werden, so wie andere auch - Kranke, Hinfällige, Halbtote -, damit sie ja "das Richtige" ankreuzte, denn dafür waren die Frauen gut genug. Der Amtsvorgänger meines Vaters ließ seiner Gattin irgendwann alle Zähne ziehen, denn, so ging das Gerücht, "es" kommt von den Zähnen.

Dabei hatte sie vielleicht einfach nur die Schnauze voll von einem System, das die Welt in "die unsrigen" und "die anderen" einteilte, und von den Männern, die dieses System trugen. Meine Mutter aber ließ sich nicht die Zähne ziehen, und sie wollte nicht die Goschn halten, sondern protestierte auf ihre Art und gab bei dieser Wahl ein leeres Blatt Papier ab. Das musste man sich erst einmal trauen damals.

Papas Rückkehr

Meinem Vater aber gab das zu denken, und er schmiss den ganz Krempel hin. Er kam wieder zu uns zurück, zu seiner Familie, und war in der Folge ein wunderbarer Vater, während er wahrscheinlich ein schlechter Bürgermeister geworden wäre. 1975, zwei Jahre später, als sich dann der schwarze Kanzlerkandidat Schleinzer unten in Bruck an der Mur "derrent" hat, wie man damals sagte, da weinte in unserer Familie nur noch ich um die "schwarze Hoffnung", weil ich das kaputte Auto im Fernsehen sah.

Es muss dann 1979 gewesen sein, als die damalige Mannschaft von VÖEST Linz bei uns in Windischgarsten auf Trainingslager war. Unter Tags wurde im Schatten des Warscheneck trainiert, wir Buben bekamen Autogramme, die wir uns schworen, für immer zu behalten. Am Abend gingen die Vollprofis in die örtliche Disco, die Café Mayr hieß und in der eine überaus liebreizende Kellnerin hinter der Bar stand. Die VÖEST wurde nach dieser Woche Training nicht Meister der heimischen Fußballliga, aber die Kellnerin bekam neun Monate später ein Kind, und sie gab den halben Kader der Mannschaft als möglichen Vater an.

Also fällt mir doch noch etwas ein, auf das wir Oberösterreicher stolz sein können: Auf unsere schönen Frauen, und natürlich auf den Leberkas Pepi. Anfang September eröffnte er in Wien eine Filiale, gleich neben der Oper. Allerdings vorerst nur mit acht Sitzplätzen ausgestattet, denn Vorsicht ist angebracht in diesen unsicheren Zeiten. Schnell übernimmt man sich, und am Ende kauft auch den Pepi noch einer aus dem Ausland zu seinem Stahlwerk dazu, weil er nicht genug Öfen haben kann.

Die Eröffnung war aber vielversprechend.

Manfred Rebhandl, geboren 1966 im oberösterreichischen Roßleithen, lebt in Wien. Er schreibt Krimis um den Superschnüffler Rock Rockenschaub, die am Wiener Brunnenmarkt
spielen (zuletzt "Töpfern auf Kreta", Czernin Verlag, 2015), und Reportagen für Zeitungen. Die Dramatisierung seines Buches "Das Schwert
des Ostens" läuft zur Zeit im Rabenhof Theater.