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Die großen globalen Zusammenhänge werden meist nur am Rande genannt. Es ist höchste Zeit, das verkürzte Denken und Handeln zu überwinden.
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Seit November 2022 leben acht Milliarden Menschen auf unserem Planeten, für das Jahr 2050 werden fast zehn Milliarden erwartet. Innerhalb von 100 Jahren hat sich die Menschheit also mehr als verfünffacht und das Leben auf unserem Planeten in massive globale Abhängigkeiten manövriert: multinational verflochtene Märkte, Waffentechnologien mit globalem Bedrohungspotenzial, Klimakatastrophen, Pandemien, Rodung und Versiegelung, Massenflucht und Völkerwanderung aufgrund unbewohnbar werdender Gebiete und kriegerischer Auseinandersetzungen.
Politik und Medien reden täglich und dies höchst alarmistisch über diese Entwicklungen, allerdings ohne sich mit deren Zusammenhängen auseinanderzusetzen: Die schrecklichen Vereinfacher sind wieder am Werk, also Leute, die kompliziertere Zusammenhänge nicht sehen wollen oder können. Und sie betreiben "piecemeal engineering", also Stückwerk, indem sie sich den einzelnen Problemen zuwenden, aber die globalen Zusammenhänge außer Acht lassen. Zwar hört man immer wieder den Spruch, dass "alles mit allem zusammenhängt" - danach gehandelt wird aber nicht. Selbst auf großen, sehr aufwendigen Konferenzen, wie etwa kürzlich bei der Weltklimakonferenz in Sharm el-Sheikh, werden diese Zusammenhänge höchstens am Rande genannt. Offenbar überfordern sie die gesellschafts- und wirtschaftspolitische Intelligenz der Verantwortlichen. Und sie schüren die Zukunftsangst junger Leute, die in zunehmend spektakulären Aktionen zum Ausdruck kommt.
Der verhängnisvolle Kreislauf des Fortschritts
Erfolgreiches wirtschaftliches Wachstum und innovative Techniken führen zu Verbesserungen der Lebensmöglichkeiten vieler. Andererseits befördern wachsende Konsummöglichkeiten für mehr Menschen mit immer höheren Ansprüchen den Verbrauch von Natur, Rohstoffen und Energie und beschleunigen den Klimawandel. Mit der Folge, dass Seen und Böden austrocknen, Landstriche überschwemmt werden und damit die Lebensmöglichkeiten für viele Menschen verloren gehen, sodass sie zur Massenmigration gezwungen sind. Dies wäre bei einer geringeren Erdbevölkerungsanzahl deutlich weniger schwierig zu beherrschen, mit weiterem Wachstum jedoch exponentiell problematischer.
Weniger entwickelte Länder zu entwickeln, damit ihre Bürger im Land bleiben, scheint eine vernünftige Idee zu sein. Entwickeln heißt aber, Häuser, Kliniken, Verkehrswege, Universitäten, Kultureinrichtungen zu bauen usw. Also ein Teufelskreis, denn das würde den Klimawandel ja noch beschleunigen. Das ist Realdialektik. Dieser Widersprüchlichkeit, dieser realen Dialektik der modernen Gesellschaft, zu entkommen, wird in dem Ausmaß immer schwieriger, wenn nicht unmöglich, in dem die Zusammenhänge nicht umfassend wahrgenommen, in ihrem Wesen nicht wirklich verstanden und nicht vernünftig bearbeitet werden.
Statt aufs Geld auf die wirklichen Mittel schauen
Ein zentrales Problem besteht darin, dass in nahezu allen Staaten, vor allem aber in den multinationalen Organisationen, das Denken über Lösungen immer von Milliarden Dollar oder Euro bestimmt wird - etwa die finanziellen Kosten der Abwendung des Todes von Millionen Menschen am Horn von Afrika. Dabei ist es doch selbstverständlich, dass Geld selbst keinen Hunger, keinen Durst stillt und meist in die Hände betrügerischer Oligarchen und Syndikate fällt. Vielmehr geht es um die Besorgung der wirklichen Mittel zur Rettung von Leben: Wasser, Nahrung, Unterkunft, Sicherheit, Heilung und vor allem passende Qualifizierung der Arbeitskräfte, die die Probleme bearbeiten könnten.
Der alles entscheidende, erste Faktor zur Sicherung und Verbesserung der Lebensverhältnisse - nämlich das menschliche Arbeitsvermögen - ist grundsätzlich vorhanden und hat mit dem Wachstum der Erdbevölkerung sogar zugenommen. Dieses Arbeitsvermögen gilt es also zu entwickeln und zu qualifizieren, und zwar zu intrinsisch motiviertem, eigenverantwortlichem Lernen und Handeln. Dadurch würden die Menschen in die Lage versetzt, ihre begrenzte Lebenszeit für Sinnvolles zu nutzen und nicht für das zu vergeuden, was ihnen als erstrebenswert vorgegaukelt wird: seichtes "Entertainment" über unzählige Kanäle; inaktives Verfolgen verschiedenster Sportveranstaltungen, die aufgrund des mit ihnen verbundenen Reiseaufkommens und Energieverbrauchs einen katastrophalen ökologischen Fußabdruck hinterlassen; Konsumgüter, die schnell wieder entsorgt werden, und vieles mehr.
Ein weltbekannter Spekulant meinte jüngst, die Reichen dieser Welt hätten nicht die Absicht, zu den Verlierern des Klimawandels und der damit verbundenen Katastrophen zu zählen. Die Entwicklung der Vermögen in den Corona-Jahren gibt ihm die Möglichkeit, sich Schutzwelten auf der Erde oder im All zu planen. Alle anderen sind zunehmend verunsichert und bleiben zurück.
Also ist es höchste Zeit, das verkürzte Denken und Handeln zu überwinden. Das bedeutet: Stopp den schrecklichen Vereinfachern. Denn mit "smarter" Technik, mit Mauern voller Sensoren und Stacheldraht oder letztlich mit Waffeneinsatz werden die sich verschärfenden Probleme nicht beherrschen lassen. Erforderlich sind also eine ganzheitliche Betrachtung und Einschätzung der künftigen Entwicklungen sowie - höchstwahrscheinlich - die Beschränkung der Ansprüche auf die wirklichen Lebenserfordernisse, und zwar sowohl bei den mächtigen Eliten als auch bei der Bevölkerung.