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Heute auf den Tag vor 20 Jahren schloss das Automobilwerk Sachsenring für immer seine Pforten. Damit endete die fast 40-jährige Geschichte des DDR-"Volkswagens" Trabant - oder?
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Am 14. Jänner 1954 erging folgender Beschluss des Ministerrats der DDR: "Um dem Mangel an Autos aus volkseigener Produktion abzuhelfen, soll ein Kleinwagen mit folgenden Eckdaten entwickelt werden: Kleinwagen mit zwei Haupt- und zwei Nebensitzen, Gewicht maximal 600 kg, Kraftstoffverbrauch 5,5 Liter/100 km, Jahresproduktion 12.000 Stück, Preis 4000 Mark ab Werk, Verwendung von Kunststoff für die Karosserie, Entwicklungszeit 18 Monate."
Die planwirtschaftliche Weisung erhielt der volkseigene Betrieb Audi Werk Zwickau (AWZ) in Sachsen, wo schon seit 1904 Automobile hergestellt wurden. Schon im April 1955 rollte der erste AWZ P 70 vom Band.
Was für ein Auto! Die Türscheiben des zweitürigen Gefährts konnte man nicht öffnen. Es hatte keine Kofferraumklappe, sodass man alles durch den Innenraum beladen musste. Da es keine Füllstandsanzeige gab, erkannte der Fahrer lediglich an plötzlichen Motoraussetzern, dass er bald wieder tanken muss. Die Karosserie bestand aus einem komplizierten Holzgestell, das mit Pressformteilen aus Duroplast bestückt war. Das war nichts anderes als mit Phenolharz getränkter, gepresster Baumwollflor, vermischt mit Lumpen. Flugs gab der Volksmund dem Kleinauto den Spitznamen "Rennpappe".
Dennoch entwickelte sich der ostdeutsche Sputnik (= Trabant auf Russisch) mangels erschwinglicher Alternativen zum am meisten nachgefragten Auto der DDR. Je nach Wirtschaftslage schwankten die Wartezeiten allerdings zwischen acht und dreizehn Jahren. Mein Freund Peter hat das so geregelt: Alle vier Jahre bestellten abwechselnd er, seine Frau und sein Vater je einen "Trabbi". Peter hatte also oft einen fabrikneuen "Plaste-Bomber" zur Verfügung, seinen gebrauchten gab er an Papi weiter.
Im Lauf der Jahrzehnte wurde der Trabbi zum echten Volkswagen und beherrschte das Bild der Städte und der Autobahnen. Er war langsam, eng, unkomfortabel, hässlich - aber er war auch robust und dank seiner primitiven Technik leicht zu reparieren. Die rund 20.000 Trabbis, die heute noch auf Deutschlands Straßen fahren, genießen deshalb auch die niedrigsten Versicherungsprämien.
Wirklich unangenehm waren, von der langen Wartezeit abgesehen, zwei Dinge: Form und Farben des Vehikels waren abgrundtief hässlich. Beige-Grau dominierte und verstärkte die optische Tristesse des Arbeiter- und Bauernparadieses. Noch schlimmer aber waren die Auspuffgase. Das Benzin-Öl-Gemisch, das dem Zweitakter einheizte, zog eine unverkennbare Stinkfahne hinter sich her.
Man kaufte ihn, man beschimpfte ihn, riss zahllose Witze - und man liebte ihn dennoch. Nach der Wende wurde der Trabant - wie so viele andere DDR-Ikonen - zum Kultobjekt der Ostalgiker. So mancher stolze Besitzer eines neuen "West"-Autos ärgert sich erst jetzt, im ersten Taumel der Wendezeit seinen alten Trabbi abgestoßen zu haben. Heute würde er dafür Traumpreise erzielen. Ich selbst hatte einmal das Vergnügen, in einem zum lautlosen Elektro-Auto umgebauten Trabbi rund ums Rathaus Schöneberg fahren zu dürfen.
Die Zahl der Trabbi-Fanclubs auf der halben Welt ist fast so groß wie die Zahl der Trabbi-Witze. Mein schönster: Knapp nach der Wende fährt ein Trabbi auf der österreichischen Westautobahn an einer großen Wiese vorüber, auf der zwei Kuhfladen liegen. Fragt die eine: "Was ist denn das?" Antwortet die Befragte: "Ein Trabbi, ein DDR-Auto." - "Geh weiter! Wenn das ein Auto ist, bin ich eine Sachertorten!"
Markus Kauffmann, seit 1984 Wiener in Berlin, macht sich
Gedanken über Deutschland.