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Störfaktor: Internationales Gericht

Von Matthias G. Bernold

Wirtschaft

Internationale Rechtsprechung: Notwendiges Korrektiv oder doch nur überflüssige Gleichmacherei? Die Wiener Strafrechtlerin Susanne Reindl stellt sich im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" dieser Frage.


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Seit mehr als 50 Jahren prüft der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) österreichische Gerichtsurteile und Verwaltungsakte auf deren Übereinstimmmung mit der Menschenrechtskonvention. Demgegenüber ist die Kompetenz des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) eine relativ junge und - in Strafrechtssachen selten praktizierte - Angelegenheit.

Während eine Beschwerde an den EGMR grundsätzlich von jedem eingebracht werden kann, der sich durch staatliches Handeln verletzt erachtet (im Jahr 2003 ergingen 16 Urteile gegen Österreich), kommt das EU-Gericht mit dem österreichischen Strafrecht nur dann in Berührung, wenn es von einem österreichischen Gericht um Rat gefragt wird. "Typischerweise ist das dann der Fall, wenn der Straftatbestand EU-Recht berührt - etwa im Lebensmittelstrafrecht, beim Insiderhandel oder im Markenschutzrecht", meint Reindl, die letzten Donnerstag bei der Richterwoche in Ottenstein referierte. Während die Höchstgerichte verpflichtet sind, Vorabentscheidung beim EuGH einzuholen, können dies Gerichte der unteren Instanzen freiwillig tun. Wie oft das geschehe? Im Strafrecht nicht oft, räumt Reindl ein.

Kryptische Urteile

Vielleicht ein Grund, warum österreichische Strafrichter bei der Einholung einer Empfehlung so zögerlich sind, ist die eigentümliche Sprache der Vorabentscheidungen: "Mitunter sind die Urteile sehr kryptisch formuliert", weiß Reindl, "das mag daran liegen, dass der EuGH darauf beschränkt ist, sich das Gemeinschaftsrecht anzuschauen - er will sich aber nicht unmittelbar in nationale Normen einmischen". Dass die Urteile der internationalen Gerichtshöfe die innerstaatlichen Gerichte stören, glaubt Reindl nicht: "EGMR-Entscheidungen sind wichtige Korrektive zur Rückbesinnung auf Verfahrensgarantien - das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH eignet sich als Instrument der Zusammenarbeit, um auf eine einheitliche Auslegung des Europarechts hinzuwirken."

Kulturelle Besonderheiten

Aber ist diese Rechtsvereinheitlichung überhaupt wünschenswert? Sollten sich Staaten ihre rechtskulturellen Besonderheiten nicht bewahren?

"Ich habe auch nicht so viel Freude damit, alles gleich zu regeln", betont Reindl, "aber die EU möchte auch als Rechtsgemeinschaft funtionieren - deshalb will sie auch im Strafrecht einheitliche Strukturen." Die brauche es wohl auch - etwa um den Europäischen Haftbefehl zu realisieren.