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Story und History im juridischen Verfahren

Von Christian Dolezel

Wirtschaft

Die Rekonstruktion der Vergangenheit stand im Mittelpunkt einer Diskussionsveranstaltung des Juristenverbandes. Beleuchtet wurde dabei vor allem das juristische Verfahren als genormter Versuch, die sogenannte Wahrheit herauszufinden.


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Der Ausgangspunkt: Selten entspricht die "Story", die eine Person erzählt, also die bewusste oder unbewusste Version der Vergangenheit, der "History", also dem Sachverhalt, wie er "wirklich" war. Dieses Auseinanderklaffen, speziell auch im juristischen Verfahren feststellbar, diskutierte eine Expertenrunde aus Vertretern juristischer Berufe, Semiotikern und Mediatoren unter der Leitung von Universitätsprofessor Friedrich Lachmayer. Dabei kristallisierte sich das Zustandekommen eines Gerichtsurteils sowie dieses selbst als Konstrukte heraus, die unterschiedliche Problemstellungen für alle Beteiligten mit sich bringen.

Da wäre vor allem der Richter mit seinem Versuch, nach bestem Wissen und Gewissen aus den verschiedenen "Storys", den Versionen von Parteien, Zeugen und Sachverständigen die Realität zu rekonstruieren und damit "History" zu schaffen. Das Urteil, gewonnen aus allen "Storys", mündet letztlich durch den Einfluss richterlicher Intuition und Lebenserfahrungen in eine weitere Version der Vergangenheit - eine neue "Story". Nur diesmal mit rechtlicher Verbindlichkeit.

Ein weiterer Problembereich: Bei langjährig tätigen Sachverständigen kann es dazu kommen, durch juridische Ausdrücke unbewusst Urteile in Gutachten hineinzupacken, damit beispielsweise das Urteil eines noch nicht lange in dem jeweiligen Metier tätigen Richters unterschwellig zu beeinflussen und so die "Story" bedeutend mitzubestimmen.

Auch die Situation der Parteien nahm die Expertenrunde unter die Lupe. Hier besteht für den einzelnen Betroffenen das Problem, sich im Verfahren erneut mit ungeliebten inneren Bilder aus der Vergangenheit konfrontieren zu müssen. Zudem werden Personen ohne juristische Ausbildung dadurch verängstigt, dass sie mitunter nicht abschätzen können, was die Aussage über die Vergangenheit für die Zukunft bedeutet. Auch verstärkt sich mit zeitlichem Abstand zum Geschehen das Moment des Selbstschutzes, was das Entstehen einer "Story" im Sinn eines bewussten Außenbildes fördert.

Kultur der Korrektur

Letzendlich ist es für manche Betroffene schwierig, den Rechtsspruch als andere "Story" als die eigene akzeptieren zu müssen: "Dieser Zweifel an der Story ist jedoch durch den Instanzenzug als jene Phase ritualisiert, in der noch eingegriffen werden kann", meinte dazu Lachmayer. Damit habe man - neben dem kritischen Journalismus - auch im Recht selbst eine Kultur der Korrektur geschaffen. n