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Stoßgebet hinter vergittertem Fenster

Von Martyna Czarnowska aus der Türkei

Europaarchiv

Missionarstätigkeit wird von Nationalisten verurteilt. | Nur Griechisch- Orthodoxe sind offiziell anerkannt. | Istanbul. Die Fassade des Hauses ist in einem freundlichen Gelb gestrichen. Doch die Fenster sind auch im ersten Stock vergittert; das schwere Eingangstor ist aus Metall. Wie so viele christliche Gebäude in Istanbul versteckt sich auch die Kirche der "Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei" hinter hohen Mauern.


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Die Videoüberwachung ist im Vorjahr dazugekommen. Nach den Morden an drei protestantischen Missionaren in einem christlichen Verlagshaus in der osttürkischen Stadt Malatya sind die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt worden. Bedroht fühlt sich Pfarrer Holger Nollmann aber nicht. Der Kontakt mit den muslimischen Nachbarn in dem alten Viertel auf der europäischen Seite Istanbuls ist sowieso begrenzt. Es ist weniger Zusammenleben denn ein Nebeneinander. Und auch dieses kann von Misstrauen geprägt sein.

"Nach den Ereignissen in Malatya sind einige Nachbarn zu uns gekommen", erzählt Nollmann. "Sie haben uns gesagt, wie schrecklich sie die Morde finden." Doch gleich danach hätten sie gefragt: "Aber ihr macht so etwas doch nicht, oder?"

"So etwas", das ist Missionarstätigkeit, die bei vielen in der Türkei Unbehagen auslöst - auch wenn die Menschen nur vage Vorstellungen von ihr haben. Nationalistische Kreise - und so manche Medien - schüren die Skepsis, indem sie Missionare als feindliche Agenten darstellen, die an der Zersetzung des Staates arbeiten. "Doch wie sollen die grob geschätzten 150.000 bis 200.000 Christen ein Volk von 73 Millionen unterwandern?", fragt Superior Franz Kangler.

Er ist der Schuldirektor des österreichischen St.-Georgs-Kollegs, dessen Räumlichkeiten auch eine katholische Kirche umfassen. Wie Pfarrer Nollmann sieht der Superior keine Schwierigkeiten darin, ein Gemeindeleben wie in anderen Ländern zu führen, mit Gottesdiensten, Konzerten, Chor, Seniorenrunden oder Adventfeiern, die bei Christstollen und Glühwein gemeinsam mit der evangelischen Gemeinde begangen werden. Mit mehr Problemen als die ausländischen Gemeinden - die immerhin unter dem Schutz ihrer Länder stehen könnten - müssten da die türkischen Christen rechnen.

In Untergrund verbannt

Die trifft etwa der fehlende Rechtsstatus in der Türkei noch härter. Da Versammlungen in Privaträumen zur Ausübung religiöser Riten verboten sind, mussten die Gemeinden großteils im Untergrund arbeiten. Spenden zu sammeln ist da ebenso schwierig wie soziale Arbeit zu betreiben.

Da sie rechtlich gar nicht existieren, ist auch nicht klar, wie viele katholische oder protestantische Gemeinden es gibt. In der Türkei werden nur drei religiöse Minderheiten offiziell anerkannt: Griechisch-Orthodoxe, Juden und Armenier. Laut einem aktuellen Bericht des Außenministeriums sind es 89.000 Menschen. Demnach gebe es etwas mehr als 270 nicht-muslimische Gebetsräume im Land, wovon 108 der kleinsten Gruppe gehören, der griechisch-orthodoxen Minderheit mit ihren 3000 bis 4000 Mitgliedern. Die rund 60.000 Armenier haben mehr als 50 Kirchen. Die jüdische Gemeinde ist mit 25.000 Mitgliedern beziffert und besitzt 36 Synagogen.

Rechtlose Alewiten

Ethnische Minderheiten, wie etwa die Millionen Kurden, werden hingegen ebenso wenig anerkannt wie andere Gruppen. So fordern die Alewiten - deren Glaube sich zwar aus dem Islam entwickelt hat, die aber mit den religiösen Vorschriften anders umgehen als orthodoxe Muslime - seit langem ihre Rechte ein.

Diesem Ziel könnte sie eine Initiative der Regierungspartei näherbringen. So gibt es Gespräche zwischen Vertretern der Alewiten und der islamisch geprägten AKP (Partei für Recht und Entwicklung) etwa über die staatliche Anerkennung der alewitischen Gebetsräume. Auch könnten die religiösen Anführer, genauso wie die muslimischen Imame, künftig ein Gehalt vom Staat beziehen.

Skeptiker orten allerdings die AKP auf Stimmenfang und sehen in der Regierungsinitiative nicht viel mehr als ein Wahlversprechen, das nicht realisiert wird. Für März des kommenden Jahres sind in der Türkei Lokalwahlen angesetzt. Und die Zahl der Alewiten wird immerhin auf sechs bis zwölf Millionen Menschen geschätzt.