In Ungarn müssen Organisationen, die Einwanderung durch "positive Propaganda" fördern, künftig 25 Prozent ihrer Einnahmen an den Staat abführen.
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Budapest. Im Kampf gegen Flüchtlinge mobilisiert Ungarns rechtsnationale Regierung nicht mehr nur das Strafrecht, sondern jetzt auch die Steuerinspektoren. Sie sollen nach einer neuen Gesetzesänderung wohl mitentscheiden, wer in welcher Form über Flüchtlinge reden darf. Vor gut einem Monat hatte das von Ministerpräsident Viktor Orbáns Partei Fidesz beherrschte Parlament beschlossen, dass jeder, der Flüchtlingen auch nur hilft, einen Asylantrag zu stellen, eine Gefängnisstrafe riskiert. Seit vergangenem Freitag bestimmt eine Novelle im Steuergesetz, dass jede Organisation, die "die Einwanderung fördert" - auch durch "positive Propaganda" - 25 Prozent ihrer Einnahmen als Steuern an den Staat bezahlen muss.
Wer entscheidet, wieein Seminar zu bewerten ist?
Es ist ein neuer Angriff auf die Freiheit der Lehre, der Forschung und der Medien. Explizit als Betroffene genannt werden in der Gesetzesnovelle auch Autoren von "Medienkampagnen", die Abhaltung von Seminaren und die Teilnahme daran, die "Entwicklung und Aufrechterhaltung von Netzen" und der Unterricht - wenn all dies "die Einwanderung in positiven Farben darstellt". Nicht gesagt wird, wer entscheidet, ob jemand ein "Netz" für Flüchtlinge gewebt hat und wie ein Medienprodukt oder ein Seminar inhaltlich zu bewerten ist. Bekommen die Steuerfahnder jetzt eine Fortbildung in Textanalyse?
Offiziell sollen diese neuen Steuereinnahmen der Abwehr von Migranten dienen, für die Ungarn im nächsten Jahr 14 Milliarden Forint (rund 43 Millionen Euro) veranschlagt hat. Gemessen daran bringt aber die Strafsteuer wohl nur Peanuts ein, rechnete das Portal "index.hu" vor: Ungarns größte Helferorganisation für Flüchtlinge, das Helsinki-Komitee, hatte zuletzt ein Budget von 404 Millionen Forint - an Steuern müssten demnach etwa 50 Millionen Forint gezahlt werden - der Wert eines mittelgroßen Apartments in Budapest.
Fidesz bezeichnete die neue Abgabe rundheraus als "Soros-Steuer", womit nun jeder Ungar zum x-ten Mal eingetrichtert bekommt, dass nichts unversucht bleibt im Kampf gegen der US-Philanthropen und Milliardär George Soros, den die Regierung pausenlos als Drahtzieher der Flüchtlingsbewegungen brandmarkt. Erst vergangene Woche hatte die EU ein neues Verfahren gegen Ungarn eingeleitet, wegen des Stop-Soros-Gesetzespakets, in dem Flüchtlingshelfern Gefängnis angedroht wird. Die Reaktion aus Budapest kam sofort: Das neue Verfahren zeige, dass Soros auch in der EU-Kommission "seine Leute" habe, hieß es in einer Mitteilung des Fidesz.
Es gibt keine "Flüchtlinge",nur "Migranten"
Laut Sprachregelung der Regierung gibt es keine "Flüchtlinge". Dieser Begriff kommt in den von der Regierung kontrollierten Medien gar nicht vor. Stattdessen ist dort nur von "Migranten" die Rede und von "illegaler Einwanderung". Müssen nach dem neuen Gesetz nun die Steuerfahnder aktiv werden, wenn irgendwo öffentlich in Ungarn das Wort "Flüchtling" fällt? Der Politologe Bernhard Knoll-Tudor von der Zentraleuropäischen Universität in Budapest (CEU) sieht den seit vier Jahren an der CEU laufenden Kurs zum Thema europäische Migrationspolitik in Gefahr. "Das haben wir kommen sehen", schrieb Knoll-Tudor bei Facebook zu der neuen Strafsteuer.
Die CEU, ein Hort des von Orbán und seinen Propagandisten gebrandmarkten Liberalismus, ist immer noch in einer unklaren Lage. Die Regierung versucht seit einem Jahr, die prestigeträchtige Hochschule, die Postgraduierte aus aller Welt anzieht, aus dem Land zu ekeln. Um den Status der CEU zu sichern, fehlt noch eine Unterschrift unter ein Abkommen mit dem Staat New York, die Budapest hinauszögert.
Derweil bangen Ungarns Wissenschaftler auch an anderer Front. Das Parlament hat nämlich jüngst beschlossen, dass die Akademie der Wissenschaften (MTA) über zwei Drittel ihres Etats nicht mehr frei verfügen kann, sondern dass das Geld von einem neu geschaffenen Ministerium für Innovation und Technologie verteilt wird. Vorausgegangen war eine Kampagne gegen die MTA in der von Orbáns Chefideologin Mária Schmidt kontrollierten Zeitschrift "Figyelö", in der den Wissenschaftlern vorgeworfen wurde, dass sie zu viel über Themen wie Gender Studies und Homosexualität forschten.
Angst um Unabhängigkeit der Akademie der Wissenschaften
Der Präsident der Akademie, Laszlo Lovasz, und sein Vorgänger, Jozsef Pálinkás, haben ihre Sorge darüber kundgetan, dass nun über Forschungsaufträge politisch entschieden werden soll. Dabei sind weder der international preisgekrönte Informatiker Lovasz noch der Physiker Pálinkás Regierungsgegner und beteuern stets, dass die Akademie parteilos sei. Mehr noch, Pálinkás war Unterrichtsminister in der ersten Orbán-Regierung, von 2001 bis 2002. Zuletzt war Pálinkás sogar von der Regierung mit einem Plan zur Umgestaltung des Forschungswesens beauftragt worden.
An dieser radikalen Finanz-Umgestaltung war er aber nicht beteiligt, wie er "index.hu" sagte. Mit dem neuen Technologieminister und gelernten Maschinenbau-Ingenieur László Palkovics sei er dafür in einer Grundsatzfrage über Kreuz. Palkovics sei nämlich der Meinung, dass stets die Regierung zu entscheiden habe, worüber im Land geforscht wird. "Das gibt es nirgendwo auf der Welt", ereiferte sich Pálinkás, daran ändere auch ein noch so glorioser Wahlsieg mit absoluter Mandatsmehrheit wie jener Orbáns im April nichts.