Auch China steht kurz davor, einen Krieg mit Frieden zu rechtfertigen.
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Während Papst Franziskus an diesem Osterwochenende in Rom die segnenden Worte "Urbi et orbi" auf dem Petersplatz sprach und damit die Stadt und den Erdkreis segnete, kreuzten vor Taiwan chinesische Flugzeugträger. Was diese beiden Schauplätze verbindet? Über beiden Aktionen stand dasselbe Schlagwort: Frieden.
Das Oberhaupt der katholischen Kirche appellierte bei seinem traditionellen Ostersegen an die Menschheit - genauer an die kriegstreibenden Machthaber -, sich einer friedlichen Welt zu verschreiben. Vor allem der Frieden in der Ukraine war dem Pontifex dabei ein Anliegen. Die chinesische Führung wiederum argumentierte die als großes Manöver angelegte militärische Übung rund um den Inselstaat Taiwan damit, den Frieden in der Region sichern zu wollen. Mehr noch, Peking segnete potenzielle künftige kriegerische Handlungen damit einmal mehr im Voraus ab: "Wenn wir den Frieden und die Stabilität schützen wollen, müssen wir jeder Form des Separatismus für eine Unabhängigkeit Taiwans entschieden entgegentreten." Dass Taiwan bereits seit 70 Jahren eine unabhängige Regierung hat, spielt bei dieser Argumentation keine Rolle.
Es sind beunruhigende, ja beängstigende Worte, die da aus dem Reich der Mitte zu vernehmen waren. Schon lange steht die Vermutung im Raum, dass China das Vorgehen Russlands in der Ukraine genau beobachtet und schweigend mitträgt, um es selbst als Schablone für die ewige Streitfrage Taiwan zu verwenden. So ernst wie dieser Tage klang das Säbelrasseln schon lange nicht mehr - formal angeheizt durch den Besuch der taiwanischen Präsidentin in den USA.
Wie schnell aus einer Übung im Grenzgebiet eine "militärische Spezialoperation" und damit ein Krieg werden kann, konnte die Weltgemeinschaft vor einem Jahr in der Ukraine beobachten. Die Parallelen sind bedenklich: Eine Großmacht will eine vermeintlich abtrünnige - strategisch relevante - Region zurückgewinnen, die Menschen aus der Illusion der politischen Unabhängigkeit wecken, sie von einem Irrglauben bekehren und zurückholen auf den rechten Weg. Das Eskalationspotenzial beider Szenarien: Die vermeintlich Abtrünnigen haben mächtige Verbündete. Taiwan etwa die USA, die sich zur Verteidigungsfähigkeit der Insel verpflichtet haben. Ein lokaler Konflikt im Interesse des regionalen Friedens ist dieses neue Pulverfass - wie die Ukraine - längst nicht mehr. Die globalen Folgen einer Eskalation sind auch hier schlicht unabschätzbar.
Die kriegerische Friedensrhetorik Chinas fällt in nervöse Zeiten - die Friedenswünsche des Papstes auch. Dass Letztere Realität werden (und nicht Erstere), setzt eines voraus: das Prinzip Hoffnung. Und das ist zuletzt ziemlich (über)strapaziert worden.