Bürger werden mündiger und pochen auf ihr Recht. | Bevormundung für heimische Justiz? | Wien. Das Verbot von Folter und erniedrigender Behandlung ist darin genauso normiert, wie das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens: Die Europäische Konvention der Menschenrechte (EMRK) ist mittlerweile 53 Jahre alt und ein wichtiger Schritt zur Vereinheitlichung grundrechtlicher Standards. Sie gilt in allen Ländern des Europarats - also in sämtlichen Staaten des geographischen Europas einschließlich Russland, sowie Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Türkei und Zypern. In Österreich wurde sie sogar in den Verfassungsrang erhoben. Über die Einhaltung der Konvention wacht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Strassburg.
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#Schutz für Grundrechte
"Jeder Grundrechtsschutz versagt, wenn er nur ungenügend überprüft wird", analysiert Clemens Jabloner, Präsident des Verwaltungsgerichtshofs anlässlich des Wiener Symposiums zur Bedeutung der Rechtssprechung des EGMR am Dienstag. Doch der Gerichtshof, der seit 1998 ständig tagt, agiert laut Verfassungsgerichtshof-Präsident Karl Korinek immer häufiger als eine "Rechtsmittelinstanz", indem er in seinen Urteilen selbst Wertungen vornimmt und sich nicht darauf beschränkt, zu kontrollieren, ob die Grundrechte ausreichend gewürdigt wurden. Die nationalen Gerichte könnten sich ihrerseits nicht durchwegs an der Rechtssprechung des EGMR orientieren, denn "besonders im Strafrecht muss man von Fall zu Fall die jeweilige Schuld fixieren", gab OGH-Präsident Johann Rzeszut zu bedenken. Seinem Gerichtshof werde teilweise vorgeworfen, "nur zögernd auf Strassburg zu reagieren".
Auch Wolfram Karl, Leiter des Österreichischen Instituts für Menschenrechte wünscht sich mehr Zurückhaltung vom EGMR: "Die innerstaatlichen Gerichte überblicken die Interessenslagen sämtlicher Beteiligter besser, wohingegen Strassburg oft nur die Interessen des Beschwerdeführers berücksichtigt." Dabei sei es ja meist so, dass zwei Grundrechtspositionen (Recht auf Meinungsfreiheit contra Recht auf Privatsphäre) aneinander prallen, die nur durch das Abwägen sämtlicher Faktoren gelöst werden könnten. Seiner Meinung nach sollte Strassburg nur in "groben Fällen sowie in Verfahrensfragen" entscheiden. Dafür könnte Österreich schneller bei der Umsetzung reagieren.
EGMR wird wichtiger
Dass der EGMR immer wichtiger für die nationale Rechtssprechung werde, sei jedenfalls ein Faktum, war der Tenor der Veranstaltung. Die Bürger und deren Anwälte sind mündiger geworden und entdecken den Gerichtshof immer mehr als Möglichkeit, ihre Rechte durchzusetzen. Doch in der heimischen Justiz werden der EGMR und seine Urteile noch immer als Fremdkörper aufgenommen. Zwar orientieren sich alle Gerichtshöfe nach der Menschenrechtskonvention, doch wird diese teilweise unterschiedlich ausgelegt - in Strassburg sitzen die Experten für die EMRK, in Österreich die für die nationale Rechtsordnung. "Wir müssen den EGMR auch als unseren Gerichtshof akzeptieren", meint Karl. Und obwohl die österreichischen Richter sehr firm in Grundrechtsfragen seien, weisen sie nach wie vor Schwächen im Medienrecht, Ausländerrecht und bei der langen Verfahrensdauer im Verwaltungsrecht auf.