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SPÖ und ÖVP haben für einmal, selten genug, mehr als das Allernotwendigste getan. Bei der Reform des Fortpflanzungsmedizingesetzes wollen beide deutlich über das hinausgehen, wozu sie der Verfassungsgerichtshof verpflichtete, als er im Jänner das Verbot der künstlichen Fortpflanzung mittels Samenspende für lesbische Paare aufhob. Gewisse Grenzen aber sollen bleiben, und eine Kommerzialisierung wollen SPÖ und ÖVP verhindern. Zumindest Letzteres wird wohl ein frommer Wunsch bleiben.
Es ist längst zur Regel geworden, dass die Politik nicht aus eigenem Antrieb aktiv wird. Gehandelt wird oft erst, wenn die Höchstgerichte eingreifen. Dabei sorgt insbesondere der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg mit seinen Erkenntnissen auf Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention für eine einheitliche Rechtsentwicklung. Die Dynamik ist enorm, schließlich kann sich jeder Bürger aus den 47 Mitgliedstaaten an das Höchstgericht wenden, wenn er glaubt, in seinen festgelegten Rechten verletzt worden zu sein.
Von der nun geplanten Liberalisierung der medizinisch unterstützten Fortpflanzung für homosexuelle Paare - de facto betreffen die Änderungen nur lesbische Lebensgemeinschaften - bleiben alleinstehende Frauen ausgenommen. Kindern soll nicht von vornherein nur einen Elternteil zur Verfügung stehen, so die Begründung. Eine nachvollziehbare Argumentation; dass die Realität viel zu oft anders aussieht, taugt nicht als Gegenargument.
Insgesamt ist die Reform ein Schritt, die Kluft zwischen der neuen gesellschaftlichen Realität und den Möglichkeiten der Reproduktions- und Diagnosemedizin mit den gewachsenen moralischen Vorstellungen zu verringern. Erleichtert wurde die innenpolitische Entscheidung durch die klaren Vorgaben aus Straßburg. Grundsätzlich jedoch stehen Normen gegenüber dem medizinischen und technischen Fortschritt meist auf verlorenem Posten, wenn es keinen starken ethischen Konsens gibt. Das ist hier der Fall.
Demnächst steht die Frage, wie wir mit dem Ende unseres Lebens umgehen sollen, auf der Agenda. Hier können sich die Parteien nicht an den Vorgaben höherer juristischer Instanzen orientieren. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof gibt seinen Mitgliedstaaten beim Umgang mit der Sterbehilfe großen Spielraum. Die ethische Komponente ist nicht geringer.