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Strategie der Spannung in Kairo

Von Thomas Schmidinger

Gastkommentare
Thomas Schmidinger ist Politikwissenschaftler, Lektor an der Universität Wien und der Fachhochschule Vorarlberg und Vorstandsmitglied der im Nahen Osten tätigen Hilfsorganisation LeEZA.
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Offenbar versuchen die neuen Machthaber in Ägypten, die interkonfessionelle Gewalt gezielt zu schüren.


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In den 1970er und 1980er-Jahren verübten in Italien rechtslastige Geheimdienstkreise mit engen Kontakten zum Nato-Untergrundnetzwerk Gladio eine Reihe von Anschlägen, die Linken in die Schuhe geschoben wurden. Ziel dieser "Strategie der Spannung" war es, einerseits die Linke zu diskreditieren und andererseits eine allgemeine Atmosphäre der Unsicherheit zu erzeugen, die autoritäre Maßnahmen des Staates rechtfertigen sollte. Solche Strategien der Machterhaltung in Krisen- und Umbruchzeiten sind auch aus Südafrika, Algerien oder der Türkei bekannt.

Auch in Kairo scheinen die Machthaber des Hohen Militärrats SCAF derzeit auf diese Strategie zu setzen. Nach der vom Regime zumindest begünstigten Erstürmung der israelischen Botschaft in Kairo vom 9. September setzt das Regime nun offenbar darauf, das Land in einen konfessionellen Konflikt zu treiben, um damit eine Repressionswelle zu rechtfertigen. Die Demonstration vom Sonntag, bei der nicht nur koptische Christen, sondern auch solidarische Muslime gegen die Zerstörung einer Kirche in der oberägyptischen Provinz Aswan demonstriert hatten, wurde nicht von Salafiten oder anderen Islamisten angegriffen, sondern von Schergen des Regimes. Salafiten distanzierten sich von den Angriffen auf die Demonstranten.

Mehrere mir persönlich bekannte Demonstrantinnen und Demonstranten sprachen einhellig davon, dass sie nicht von Islamisten, sondern vom Militär und von Schlägerbanden des Regimes angegriffen wurden und sich beide offenbar gezielt koordiniert hatten. Die Jugendbewegung des 6. April, die im Winter die Proteste auf dem Tahrir-Platz maßgeblich mitgetragen hatte, sprach folglich vom gezielten Versuch, "den friedlichen Charakter der Revolution zu zerstören".

Dieses gezielte Schüren interkonfessioneller Gewalt wirft auch die Frage auf, wer derzeit hinter der Zerstörung von Kirchen in Ägypten steht. Die Kirche von Marinab, einige Kilometer von Edfu entfernt, deren Zerstörung der Auslöser der Proteste am vergangenen Sonntag war, wurde vom zuständigen Gouverneur von Aswan nur als Verwaltungsgebäude beschrieben. Der geforderte Wiederaufbau der Kirche wurde damit blockiert. Proteste in Aswan richteten sich deshalb seit Tagen auch gegen den Gouverneur Mostafa Al-Sayed.

Auch in Oberägypten demonstrierten keineswegs nur die koptischen Christen. Den Protesten schlossen sich auch muslimische Nubier an, die dem Gouverneur vorwerfen, sich deren Land illegal anzueignen.

Schon beim Anschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria zu Neujahr häuften sich Hinweise auf eine Verwicklung des ägyptischen Geheimdienstes. Oppositionelle fürchten, dass das Regime konfessionelle Spannungen schüren könnte, um sich als repressive Ordnungsmacht dauerhaft zu etablieren. Einmal mehr zeigt sich, dass die Revolution in Ägypten zwar zum Rückzug Hosni Mubaraks, aber nicht zum Sturz des Regimes geführt hat. Ägypten steht heute vor der Alternative, die begonnene Revolution zu Ende zu führen oder in einem Blutbad zu enden.