Bagdads zögerliche Bewaffnung sunnitischer Stammesführer und die amerikanische Unterschätzung der Schlagkraft des IS führten zur Niederlage.
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Die Einnahme von Ramadi durch die Kämpfer des "Islamischen Staats" (IS) ist ein erheblicher Rückschlag für die US-Strategie im Irak und zeigt, dass die USA fast ein Jahr, nachdem die Extremisten in Mosul eingefallen sind, noch immer keinen funktionierenden Plan haben, die sunnitischen Gebiete des Landes zu schützen. Der Zusammenbruch der irakischen Armee in Ramadi war in mancher Hinsicht eine Wiederholung des Debakels von Mosul im Juni 2014. Dem schiitisch-dominierten irakischen Militär schien es, obwohl zweimal von den USA ausgebildet, an Führung zu mangeln oder an Willen, den relativ kleinen, aber wilden Ansturm der sunnitischen Aufständischen abzuwehren.
Die Niederlage in Ramadi hat die konfessionellen Spannungen, die diesem Krieg zugrunde liegen, sichtbar gemacht. Zu den drängenden Fragen gehört: Sind die regulären schiitischen Truppen der irakischen Armee bereit, zu kämpfen und zu sterben, um Sunniten zu schützen? Oder werden sie in den sunnitischen Gebieten zusammenbrechen, wie in Mosul und in Ramadi? Und würde die sunnitische Bevölkerung, wenn stattdessen die härteren, vom Iran unterstützten, schiitischen Milizen die Aufgabe übernehmen, diese als schiitische Besatzungsarmee wahrnehmen, was konfessionelle Racheakte auslösen würde?
In den Stunden vor der Einnahme Ramadis sagte Centcom-General Thomas D. Weidley in einer Telefonkonferenz zu Journalisten, die Strategie der von den USA geführten Koalition sei auf dem richtigen Weg. Der IS sei im Irak und in Syrien "in der Defensive". Das hat sich als äußerst überoptimistisch erwiesen: Die Extremisten begannen mit einem Autobombenanschlag in Albu Diab im Norden von Ramadi. Als die irakischen Truppen in den Norden eilten, zündeten die Aufständischen eine Welle von mindestens vier Autobomben im Zentrum. Und die Verteidigung der Regierung brach zusammen.
Der Vorstoß des IS, Ramadi einzunehmen, wurde schon wochenlang vorausgesagt: Warum haben die USA und der Irak die Garnison dort nicht verstärkt? Und warum hat die Koalition die Truppen nicht verstärkt, um Ramadis Sicherheitszone im Zentrum der Stadt zu schützen? Und warum haben sie zugelassen, dass IS-Kämpfer neuerlich irakische Waffenlager einnehmen und viele ihrer Kameraden aus Gefängnissen in Ramadi befreien?
Die Niederlage in Ramadi zeigt, dass der Eckpfeiler der US-Strategie für den Irak - sunnitische Stammestruppen, die mit dem irakischen Militär zusammenarbeiten, um vom IS besetzte Gebiete zu befreien und zu halten - noch nicht steht. Das irakische Parlament hat das lange versprochene Gesetz, eine solche Truppe zu schaffen, noch immer nicht verabschiedet. Und Waffenlieferungen an die sunnitischen Kämpfer wurden von der Regierung in Bagdad verzögert oder übergangen. Die USA sollten ihre Strategie nicht aufgeben. Es ist immer noch ein Krieg des Irak, nicht einer der USA. Aber wenn Premierminister Haider al-Abadi und seine schiitischen Alliierten nicht mehr tun, um die Sunniten zu stärken, wird der Irak zerbrechen. Ramadi ist ein Vorbote - entweder ein Vorbote für das Einlenken von Abadis Streitkräften oder ein Vorbote für die Niederlage des Irak.
Übersetzung: Hilde Weiss