Spekulation über Antritt bei Vorwahl zum Präsidentenamt. | Affäre geplant?
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Paris/New York. Dominique Strauss-Kahn ist zurück auf der politischen Bühne. "Wenn er freigelassen wird, wird er zweifelsohne eine große politische Rolle spielen", sagte Strauss-Kahns sozialistischer Parteifreund und ehemaliger französischer Kulturminister Jack Lang am Freitagvormittag. Und schon am Nachmittag europäischer Zeit war der Mann, der wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung in New York verhaftet wurde und daraufhin den Posten als Chef des IWF räumen musste, frei. Der Staatsanwalt hatte der Entlassung Strauss-Kahns aus der Haft zugestimmt, die Klage ist aber noch aufrecht.
Mit ihren Vorwürfen hatte das Zimmermädchen eines Nobelhotels in der amerikanischen Metropole die Träume Strauss-Kahns von einer Präsidentschaftskandidatur in Frankreich zunichte gemacht. Er hatte die Unfreiwilligkeit ihres sexuellen Kontaktes stets bestritten. Neue Erkenntnisse über das Mädchen, das vor zwei Jahren als Asylantin aus Guinea in die USA gekommen ist, lassen Zweifel daran aufkommen, dass ihrer Aussage in einem Prozess Glauben geschenkt würde. Die "New York Times" veröffentlichte in einem Artikel die vorläufigen Recherche-Ergebnisse der Staatsanwaltschaft, die darauf hindeuten, dass der Prozess kurz vor dem Zusammenbruch steht.
Einen Tag vor der Affäre hat die 32-Jährige mit einem inhaftierten Drogendealer ein Telefonat geführt, in dem sie diesem darlegte, wie einträglich eine Klage gegen den IWF-Chef wäre. Der Anruf war aufgezeichnet worden. In Sachen sexueller Gewalt hat sie bereits eine unrühmliche Vorgeschichte: Bei ihrem Asylantrag gab sie an, dass sie in ihrem Heimatland Opfer einer Massenvergewaltigung gewesen sei. Später hat sie zugegeben, die Geschichte erfunden zu haben. Ebenso wurde ihre Behauptung, beschnitten worden zu sein, nicht bestätigt, erklärten die Ermittler.
Fällt die Anklage?
Ein Mysterium sind auch die 100.000 Dollar, die Eingang auf ihr Bankkonto gefunden haben, Resultat von Einzahlungen mehrerer Männer, wovon sie nichts gewusst haben will. Gleichzeitig habe sie monatlich Telefonrechnungen in Höhe hunderter Dollar bei fünf verschiedenen Gesellschaften beglichen. Sie selbst behauptet aber, nur über ein Telefon zu verfügen.
Aufgrund dieser Erkenntnisse könnte der Staatsanwalt schon bald einige Punkte der Anklage - vielleicht sogar alle - fallen lassen. Mit etwas anderem als einer vollen Rehabilitierung dürften sich Strauss-Kahns Anwälte jedenfalls nicht zufrieden geben.
Damit wäre für den 62-Jährigen wieder der Weg für eine Bewerbung um das französische Präsidentenamt frei. Theoretisch zumindest, denn die Zeit wird knapp. Die Bewerbungsfrist für die sozialistischen Vorwahlen läuft am 13. Juli aus. Um diese einzuhalten, bedürfte es eines zweiten Paukenschlags in der Affäre, nämlich dass die Staatsanwaltschaft innerhalb von weniger als zwei Wochen alle Vorwürfe vorbehaltlos zurückzieht.
In Frankreich, wo sich die Sozialisten soeben von dem politischen Erdbeben ein wenig erholt haben, das der Verlust ihres Spitzenkandidaten verursacht hatte, kochen Spekulationen nun über die politische Zukunft Strauss-Kahns hoch. Er könnte vielleicht doch noch in die Vorwahlen eingreifen, mit denen die Sozialisten ihren Präsidentschaftskandidaten gegen Amtsinhaber Nicolas Sarkozy küren. Die Situation ist fast so, als sei der gefallen geglaubte Mann nach dem Krieg zu seiner frisch vergebenen Frau zurückgekehrt. So hat sich etwa Parteichefin Martine Aubry, die noch vor der Affäre zugunsten Strauss-Kahns auf eine Kandidatur verzichten wollte, erst am Dienstag zu den Vorwahlen angemeldet. Die Spitzenkandidaten sagten vorerst nichts über eine mögliche Kandidatur des Polit-Urgesteins. Ex-Premier Lionel Jospin meinte, es sei noch zu früh für einen Kommentar.
Viel wird davon abhängen, wie die Öffentlichkeit reagiert. Die Franzosen erachten traditionell die sexuellen Eskapaden ihrer Politiker als Privatsache. Zudem glaubte die große Mehrheit der französischen Bevölkerung von Anfang an, dass Strauss-Kahn eine Falle gestellt worden sei.
Die Vizepräsidentin der Region Großraum Paris, Michèle Sabban, hat bereits gefordert, die Vorbereitungen zur Vorwahl auszusetzen. Doch das sei kein Punkt der Tagesordnung, verkündete Sozialisten-Sprecher Benoît Hamon. Offensichtlich hat die große Wende die Genossen überrascht, die sich nun erst neu ordnen müssen und überlegen, wie man weiter verfährt.