Zum Hauptinhalt springen

"Streichkonzerte" in Amerikas Tech-Branche

Von Karl Leban

Wirtschaft
Im US-Technologiesektor sind heuer bereits mehr als 144.000 Jobs gestrichen worden.
© lllustration: getty / DigitalVision / sesame

Ist der Personalabbau bei Amazon, Facebook, Twitter & Co. ein Signal für das vorläufige Ende des Tech-Booms?


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Mehr als zwei Jahrzehnte galt die rasant wachsende US-Technologiebranche als Jobmotor. Doch mittlerweile ist dessen bisheriges Brummen in ein Stottern gekippt. Viele Unternehmen, darunter auch die Großen der Branche, steigen erstmals auf die Kostenbremse und bauen zum Teil massiv Personal ab. Allein in diesem Monat trafen die Sparmaßnahmen insgesamt gut 24.000 Beschäftigte in 72 Konzernen, wie die Internet-Plattform Layoffs.fyi, die den Abbau von Arbeitsplätzen im Tech-Sektor verfolgt, erhoben hat. Damit sind der Branche, deren Glanz inzwischen auch am Aktienmarkt verblasst, heuer schon mehr als 144.000 Jobs verloren gegangen.

Jüngstes Beispiel für Schnitte beim Personal ist der Online-Handelsriese Amazon, der Medienberichten zufolge rund 10.000 Stellen streichen will. Amazon selbst nannte keine Zahl, bestätigte aber, dass begonnen worden sei, Arbeitsplätze abzubauen, und sich dieser Abbau bis ins nächste Jahr hineinziehen werde. Zuletzt hatte der global tätige Versandhändler etwa 1,5 Millionen Beschäftigte. Demnach betreffen die Kürzungen zwar weniger als ein Prozent. Mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft, für das der Konzern meist Verstärkung benötigt, sehen Beobachter den Schritt dennoch als weiteres Signal für ein vorläufiges Ende des Tech-Booms.

Amazon, eine Ikone der sogenannten New Economy, hat Investoren bereits vor einem schwachen Schlussquartal gewarnt und dabei auf erhöhte Inflations- und Rezessionsrisiken verwiesen. Nach einer Ausgaben-Offensive in der Corona-Pandemie steht das Unternehmen nun unter Druck, seine Kosten zu senken.

"Nicht mehr nötig und zu teuer"

"Die Pandemie hat das Geschäft der Tech-Firmen beflügelt", erklärt Monika Rosen, Börsenanalystin und Vizepräsidentin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft (ÖAG). Die Fortführung des Lebens - Kommunikation, Konsum etc. - sei ja vielfach nur auf digitalem Wege möglich gewesen. Doch nun sei mit dem Auslaufen der Pandemie eine neue Situation eingetreten. Jetzt gehe der Bedarf an digitalen Angeboten zurück und Online-Angebote seien weniger gefragt. "Und damit ist jenes Personal, das in der Pandemie aufgebaut wurde, in dem Ausmaß nicht mehr nötig und zu teuer", sagt die Expertin im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Die Tech-Branche in den Vereinigten Staaten wirtschaftlich lange Zeit begünstigt hat freilich auch die extrem lockere Geldpolitik der US-Notenbank Fed. "Mit den Zinserhöhungen ist das nun weggefallen", betont Rosen. Diese verteuern Finanzierungen, bremsen damit das Wachstum der Unternehmen und beschneiden wegen des höheren Zinsaufwands auch ihre Gewinnmöglichkeiten.

Dies, aber auch der Druck von der Börse lässt etliche Tech-Firmen zum Rotstift greifen - vor allem beim Personal. Was ebenfalls eine Rolle spielt, sind geringere Umsätze, da Kunden wegen der Konjunkturabkühlung ihre Werbebudgets kürzen und online weniger Inserate schalten.

Deshalb hat etwa die Mutter von Facebook, Meta , kürzlich den ersten großen Stellenabbau ihrer Geschichte angekündigt. Geplant ist, gut 11.000 Mitarbeiter - rund 13 Prozent der Gesamtbelegschaft - zu kündigen. Noch während der Pandemie hatte Meta das Personal um fast zwei Drittel aufgestockt. Doch zuletzt wurde das Geschäft mit Werbekunden durch Konkurrenten wie Tiktok sowie Herausforderungen durch Apples iOS-Änderungen, mit der die Ausrichtung von Anzeigen eingeschränkt wurden, beeinträchtigt.

Twitter-Personal wird halbiert

Mit ähnlichen Probleme scheint auch Twitter konfrontiert zu sein. Dort hat E-Auto-Pionier Elon Musk, der neue Eigentümer und Chef des sozialen Netzwerks, kurz nach Abschluss seiner 44 Milliarden Dollar schweren Übernahme Ende Oktober den Abbau von rund 3.700 Arbeitsplätzen angekündigt. Das ist etwa die Hälfte des Personals. Musk begründete die Maßnahme damit, dass Twitter gut vier Millionen Dollar pro Tag versenke. Im zweiten Quartal, als Twitter zum letzten Mal Gewinne meldete, schrumpften die Einnahmen gegenüber dem Vorjahr um ein Prozent.

Bereits vollzogen hat Musk einen im Juni kommunizierten Personalabbau bei Tesla, dem von ihm mitgegründeten und als CEO geführten Elektroautobauer. Von den einst weltweit rund 100.000 Jobs sind dort inzwischen mehr als 3.000 eingespart worden - aus Sorge über eine nachlassende globale Konjunktur.

Zu den prominenten US-Tech-Firmen, die Arbeitsplätze kappen, gehören aber auch der Snapchat-Betreiber Snap, der sich aufgrund rückläufiger Umsätze von mehr als 1.000 Mitarbeitern - einem Fünftel seiner Belegschaft - trennte, und der Streamingdienst Netflix, der in zwei Runden alles in allem rund 450 Beschäftigte kündigte.

Nasdaq fast 30 Prozent tiefer

Vorerst scheint der langjährige Boom in der Branche jedenfalls vorbei zu sein. Das illustriert auch die Performance der amerikanischen Technologiebörse Nasdaq, die heuer - nach spektakulären Höhenflügen in den Jahren davor - um knapp 30 Prozent fiel. Für die Wiener Analystin Rosen ist dennoch klar, dass das keinesfalls bedeute, "dass ‚Tech‘ tot ist". Ihr Fazit: "Die US-Tech-Branche geht nicht unter. Langfristig kann es an ihrer Berechtigung und ihrem Erfolg keine Zweifel geben."

Ob US-Technologie-Werte in den kommenden zehn Jahren die Aktienmärkte allerdings auch so dominieren und outperformen werden wie in den vergangenen zehn Jahren, ist aus Rosens Sicht fraglich. "Die Bewertung der Unternehmen wird künftig sehr viel kritischer diskutiert werden", ist die Aktienexpertin überzeugt.