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Streik gegen die Migrationspolitik

Von Stefan Beig

Politik

Der Protest richtet sich gegen "die restriktive Gesetzgebung und die öffentliche Debatte". | Junge Wissenschafter nehmen teil. | Wien. Etliche Nicht-Regierungsorganisationen sind dabei, von "Enara - European Network Against Racism" über SOS Mitmensch bis zu Frauensolidarität. Sie alle beteiligten sich am ersten März an der Kundgebung vor dem Asylgerichtshof und am Viktor-Adler-Markt "gegen die vorherrschende Migrationspolitik in Österreich". Der Auftritt nennt sich "Transnationaler Migrant_innenstreik".


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Er hat Vorbilder: 2006 gab es in den USA Proteste gegen ein Gesetz, das in den Augen der Protestierenden zwölf Millionen undokumentierte Migranten und ihre Helfer kriminalisierte. Später folgten ähnliche Aktionen in Frankreich, Griechenland, Italien und Spanien, die alle den mittlerweile symbolischen ersten März für ihren Protest wählten.

Eine breite gesellschaftliche Basis für das Anliegen zu finden, ist anscheinend nicht leicht. Im Internet erntet die Demo bereits böse Postings. Worum geht es den Teilnehmern eigentlich konkret? "Wir haben drei zentrale Anliegen", berichtet lker Atac vom Wiener Institut für Politikwissenschaft. Er gehört zu den Initiatoren der Kundgebung. "Erstens wollen wir die öffentliche Debatte, den Diskurs über Migranten beeinflussen. Die zentrale Frage ist: Wer redet wie über Migranten? Es wird viel über sie gesprochen, aber die Betroffenen selbst kommen kaum zu Wort."

Der Politikwissenschafter fährt fort: "Zweitens wird die Gesetzgebung immer restriktiver und gefährdet die Existenzgrundlage von hier lebenden Steuerzahlern. Drittens geht es uns um politische und soziale Themen wie Schule, Bildung und Jugend." Migranten würden nicht als Akteure und Teil des politischen Systems gefördert. Es gelte, Zugänge zum System zu öffnen.

Iker Atac ist nicht der einzige junge Wissenschafter unter den Teilnehmern. "Dieser Streik ermöglicht, dass Migranten über soziale Grenzen hinweg als eine transnationale Gruppe wahrgenommen werden", meint Assimina Gouma, Kommunikationswissenschafterin und Mitglied der Forschungsgruppe "Kritische Migrationsforschung". "Die Politik hat bereits versucht, Migrantengruppen gegeneinander auszuspielen. So wurde schon behauptet, Wirtschaftsflüchtlinge seien schuld an den Problemen der Asylwerber."

Durch diese gemeinsame Kundgebung sollten Migranten als Gruppe mit einer politischen Stimme wahrgenommen werden. Es koste viele von ihnen eine große Überwindung, sich zu Wort zu melden, weil das Migrant-Sein öffentlich oft negativ dargestellt werde, etwa im Zusammenhang mit Kriminalität.

"Die Politik fördert eine Entsolidarisierung zwischen Migranten und anderen sozialen Gruppen, etwa in der Arbeitspolitik", betont die Kommunikationsforscherin weiter. "Auch die Gewerkschaft hat hier in der Vergangenheit eine schlechte Rolle gespielt. Immer wieder heißt es: Migranten nehmen uns die Arbeitsplätze weg. Man sollte die Gruppen als Teil des globalen Kampfs um Arbeitsrechte begreifen, statt sie gegeneinander auszuspielen." Atac und Gouma betonen beide, dass sich auch Einheimische am Protest beteiligen können. "Die Unterscheidung in Wir und Ihr wollen wir durchbrechen. Die Kämpfe um Gerechtigkeit betreffen uns alle", sagt Gouma.

Kritik an Gesetzesnovelle

Geboren wurde die Idee zum Protest erst vor kurzem. "Im Anschluss an die Wiener Gemeinderatswahlen haben einige Persönlichkeiten die Stellungnahme Ausschluss Basta! herausgebracht," erzählt Atac. "Darin wehren wir uns gegen Rassismus und das gesellschaftliche Klima." Die Stellungnahme wurde von mehr als 1000 Personen unterzeichnet. "Im Dezember fand eine weitere Veranstaltung mit mehr als 100 Teilnehmern von verschiedenen NGOs und Migrantencommunitys statt. Bei diesem Treffen wurde die Idee zum Transnationalen Migrant_innenstreik am ersten März geboren."

Das schlechte Gesellschaftsklima schlage sich in der Gesetzeslage nieder. "Mit jeder gesetzlichen Novellierung werden neue Hürden für Migranten errichtet", kritisiert Gouma. Dazu gehöre die in der Vorwoche im Ministerrat beschlossene Fremdenrechtsnovelle. "Sie bedeutet nur geringfügige Verbesserungen, denen gravierende Verschärfungen der ohnedies restriktiven Rechtslage gegenüberstehen", kritisiert auch Joachim Stern vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Wien, der nicht an der Demonstration teilnimmt. "Nun genügt schon eine einzige Verwaltungsübertretung für ein 18-monatiges Einreiseverbot. Das halte ich für europarechtswidrig."

Weiters forderte das Europarecht, dass jede Abschiebung in einem fairen Verfahren vor einer unabhängigen Behörde angefochten werden kann. "Derzeit kann gegen Abschiebungen nur bei den Sicherheitsdirektionen im Innenministerium berufen werden. Die Novelle sieht keine Korrektur vor." Zu einem fairen Verfahren gehöre ein unabhängiger, qualifizierter Rechtsberater. "Die Vorschläge in der Novelle sind hier schwer defizitär. Die Rechtsberater werden vom Ministerium ausgesucht und gekündigt, die geringen Anforderungen weiter abgeschwächt: Nun genügt Erfahrung im Fremdenrecht als Qualifikation."

Hochproblematisch sei die Einführung der automatischen Haft für Asylsuchende bei Antragsstellung von bis zu 168 Stunden. "Dabei ist nicht einmal der Zugang zu einer unabhängigen Betreuung gewährleistet. Die Betroffenen können oft schwer traumatisiert sein." Kritik kommt von Stern auch an den Bestimmungen zur Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft. "Bis zur Novelle im Jahr 2006 wurde jährlich im Schnitt 40.000 Menschen die Staatsbürgerschaft verliehen, seither sind es nur mehr 6000." Die Mängel würden in der Novelle nicht behoben.

LinkWebsite no-racism.net