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Seit drei Wochen protestiert die Opposition gegen das Vorgehen der Regierungsfraktion.
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Warschau. Die Bilder sind verschwommen, die Bewegungen der Menschen darauf abgehackt. Es sind Aufnahmen einer Sicherheitskamera, um deren Veröffentlichung in Polen wochenlang gerungen wurde. Sie zeigen die Ereignisse des 16. Dezember im Kolumnensaal des Sejm, des polnischen Parlaments. Aus der Sicht der Opposition nahm damals eine parlamentarische Krise ihren Anfang, die bis heute andauert. Laut der Regierungspartei hatte alles seine Ordnung.
Es geht um eine umstrittene Budget-Abstimmung, die vor Jahresende statt im Plenarsaal in einem anderen Raum abgehalten wurde. Doch es begann mit einem Zwist um geplante neue Regeln für Journalisten, die den Medienvertretern die Bewegungsfreiheit im Sejm stark eingeschränkt hätten. Als ein Abgeordneter der oppositionellen Bürgerplattform (PO) mit einem Schild gegen die neuen Vorschriften protestierte, entzog ihm Parlamentspräsident Marek Kuchcinski das Rederecht und schloss ihn von der Sitzung aus.
Daraufhin gingen die Wogen hoch. Dutzende Mandatare formierten sich rund um das Rednerpult, forderten die Rückkehr ihres Kollegen, skandierten "Freie Medien" und "Demokratie", stimmten schließlich die polnische Nationalhymne an. Kuchcinski unterbrach die Sitzung und verlegte sie später in den Kolumnensaal. Dort wurde über den Haushaltsentwurf für das kommende Jahr votiert. In der Zwischenzeit kamen hunderte Menschen vor dem Parlamentsgebäude zusammen, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Drinnen traten Oppositionspolitiker der PO und der liberalen Partei Nowoczesna (Moderne) in einen Sitzstreik.
Seit drei Wochen halten sie sich nun im Plenarsaal auf, lösen einander bei der Protestaktion ab. Das wollen sie zumindest bis zur nächsten Parlamentssitzung am kommenden Mittwoch fortsetzen.
Zweifelhaftes Budget-Votum
Denn die Zweifel an der Gültigkeit des Votums über das Budget sind geblieben, und ausräumen konnten sie auch die Aufnahmen von der Abstimmung nicht, die Sejm-Marschall Kuchcinski erst nach steigendem Druck Mitte der Woche veröffentlichen ließ. Es gibt keinen Ton; zu sehen sind die Abgeordneten, die an langen Tischen sitzend ihre Hände heben, die wiederum von Sekretären gezählt werden.
Allerdings ist nicht der gesamte Saal umfasst, und somit ist nicht nachvollziehbar, ob überhaupt das erforderliche Quorum erreicht wurde. Das ist einer der Hauptvorwürfe der Opposition, die außerdem bemängelt, dass ihr der Zugang in den Raum erschwert wurde.
Die nationalkonservative Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) und ihr Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski wiegeln ab. Das Votum sei allen Regeln entsprechend durchgeführt worden, und es gebe keinen Grund, es zu wiederholen, befand Kaczynski. Der Sprecher der Regierung meinte, dass sich die Opposition mit der "Besetzung" im Sejm lediglich kompromittiere. Dessen Präsident Kuchcinski, selbst aus den PiS-Reihen kommend, sprach von einem möglichen Rechtsbruch durch die streikenden Mandatare.
Das sehen die einstige Regierungsfraktion PO und die Nowoczesna freilich anders - auch wenn die Bürgerplattform, im Gegensatz zu so manchem Nowoczesna-Vertreter, keine Neuwahlen verlangt. Beide Parteien machen aber in erster Linie Kuchcinski für die Krise verantwortlich. "Der Sejm-Marschall hat die Vorschriften missbraucht - und seine Kompetenzen nicht zum ersten Mal überschritten", sagt Marek Krzakala im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der PO-Abgeordnete weist darauf hin, dass Kuchcinski das ganze Jahr über versucht habe, der Opposition den Mund zu verbieten.
Rechtsstaat auf dem Prüfstand
Die liberal-konservative Bürgerplattform, die ebenso wie PiS ihre Wurzeln in der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc hat, ist die größte oppositionelle Fraktion. Bis zur Parlamentswahl 2015 war sie an der Regierungsmacht - und das über zwei Legislaturperioden, was in Polen nach 1989 sonst keiner Partei gelungen war. Nun warnt sie davor, dass die jetzige Regierung die wirtschaftliche aber ebenso die außenpolitische Position des Landes schädigen könnte.
Es sind nämlich nicht nur innenpolitische Querelen. Die Situation in Polen sorgt auch darüber hinaus für Unmut. Die EU-Kommission hat wegen eines Streits um den Verfassungsgerichtshof ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet, das in einem letzten Schritt zum Entzug von Stimmrechten bei EU-Ministersitzungen oder finanziellen Sanktionen führen könnte.
Das wünscht sich Krzakala freilich nicht. "Ich würde es sehr bedauern, wenn Polen bestraft würde, indem Fördermittel gesperrt werden", betont er. Denn was könnten die Menschen dafür? Die Bürger und die Regierung sollten nicht in einen Topf geworfen werden. In der Bevölkerung ist die Zustimmung zur EU weiterhin hoch.
Außenpolitische Isolation
Gleichzeitig aber kritisiert Krzakala, der Mitglied im außenpolitischen Ausschuss ist, dass das Kabinett in Warschau das Land in Europa zunehmend isoliert. "PiS-Vorsitzender Kaczynski mag und versteht die Europäische Union nicht, und der Außenminister hat noch vor einem Jahr Großbritannien als wichtigsten Verbündeten genannt." Dabei wäre Deutschland der wichtigste und naheliegende Partner. Stattdessen setzt Warschau eher auf die Visegrad-Gruppe, ein loses Bündnis mit Ungarn, der Slowakei und Tschechien.
Allerdings gefällt weder den Slowaken noch den Tschechen, dass Polen gerne die Führungsrolle übernehmen würde. Krzakala weist außerdem darauf hin, dass die Visegrad-Gruppe allein kaum Entscheidungen fällen kann. Diese werden vielmehr in Berlin und Brüssel vorbereitet. "Wir müssen uns diesem Kreis wieder annähern und nicht uns davon entfernen", stellt Krzakala fest.