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Streiks abgesagt -Drohung bleibt

Von Walter Hämmerle

Politik

Montag Vormittag, also quasi im letzten Augenblick, hat der ÖGB die für heute, Dienstag, angesetzten Streiks gegen die Pensionsreform der Regierung abgesagt. Diese würden allerdings nachgeholt werden, erklärte ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch, sollte es bei der für gestern Abend angesetzten neuerlichen Verhandlungsrunde am Runden Tisch zwischen Regierungsspitze und Sozialpartnern nicht zu einer Einigung kommen. Wie eine solche aussehen könnte, blieb aber auch gestern weiter unklar: Die Regierung betrachtet ihre Zugeständnisse als maximal, der Gewerkschaft gehen diese nicht weit genug.


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Schon über das Wochenende verstärkte sich der Druck auf den ÖGB: Die Regierung hatte in einigen Punkten Kompromissbereitschaft signalisiert, nun verlangte man auch vom Gewerkschaftsbund ein Zeichen des guten Willens vor den für den frühen Abend angesetzten Verhandlungen.

Knapp nach 10 Uhr Vormittag war es dann auch so weit: Über die Agenturen lief die Meldung vom Beschluss der ÖGB-Gremien, wonach die für heute geplanten Streikaktionen gegen die Pensionsreform abgesagt sind. Man wolle einer Verhandlungslösung eine Chance geben, erläuterte ÖGB-Chef Verzetnitsch nach der Sitzung des Erweiterten ÖGB-Präsidiums. Die Streikdrohung bleibe jedoch auch weiterhin aufrecht, sollte die Regierung nicht auf die Forderungen der Gewerkschaften eingehen.

Vor allem von den Verhandlungspartnern wurde die Absage der heutigen Streikmaßnahmen reihum begrüßt. Christoph Leitl, als Wirtschaftskammer-Präsident sozialpartnerschaftliches Vis-à-Vis des Gewerkschaftsbosses, sprach von "mehr als einer Geste des guten Willens" und zeigte sich optimistisch, dass nun die noch offenen Punkte ausgeräumt werden könnten: "Jetzt ist genug gegackert worden. Jetzt kann man zu den Eiern kommen", formulierte Leitl bilderreich. Und auch VP-Generalsekretär Reinhold Lopatka nannte die Botschaft von der Streikabsage "erfreulich". Im Kanzleramt enthielt man sich dagegen eines Kommentars.

Allerdings bemühte sich der ÖGB, den Eindruck eines zu großen Entgegenkommens erst gar nicht aufkommen zu lassen. Verzetnitsch selbst sprach im Hinblick auf die gestrigen Verhandlungen von einer "letzten Chance". Sollte dabei nichts herauskommen, dann sei klar, dass gestreikt werde, so Franz Bittner von der Gewerkschaft Druck-Journalismus-Papier. Und auch der Bau-Holz-Gewerkschafter Johann Driemer stellte "ernste Maßnahmen" in den Raum, sollte es bei den Verhandlungen nicht zu einer "positiven Lösung" kommen. Ganz wollte aber auch der ÖGB nicht ausschließen, dass es nicht doch noch zu weiteren Verhandlungen kommen könnte: Der gestrige Runde Tisch im Kanzleramt sei nur "aus unserer Sicht auf jeden Fall" die letzte Runde, so Verzetnitsch im Radio-"Mittagsjournal".

Verfahrene Fronten

Wie eine Einigung im Pensionsstreit allerdings in der politischen Praxis ausschauen könnte, blieb auch gestern weiter unklar. Denn inhaltlich stehen sich die Verhandlungspartner weitgehend unversöhnlich gegenüber - zumindest wenn man die letzten öffentlich geäußerten Stellungnahmen zum Maßstab nimmt.

Während die Regierung die Auffassung vertritt, mit ihren Angeboten beim letzten Verhandlungsmarathon in der Nacht vom Donnerstag auf Freitag - Stichwort Verlustdeckelung auf maximal 10 Prozent bis zur Einführung des individuellen Pensionskontos - bereits die Grenzen ihrer Kompromissfähigkeit erreicht zu haben, spricht die Gewerkschaft nach wie vor von lediglich "kosmetischen" Änderungen. Für Gewerkschaftsbund und Arbeiterkammer scheint nämlich auch eine zehnprozentige Deckelung der Verluste als unannehmbar vor allem für jene Personen, die knapp vor dem Pensionsantritt stehen.

Auch vom Angebot besserer Aufwertungsfaktoren für weit zurückliegende Pensionsbeiträge ließ sich der ÖGB nicht beeindrucken. Weitere Kompromissformeln waren ein "Solidarpaket" für Frauen und Präsenzdiener mit höheren Ersatzzeiten bzw. einem verkürzten Durchrechnungszeitraum sowie eine Erhöhung des ohnehin von der Regierung geplanten "Altersübergangsgeldes". Nach den bisher vorliegenden Plänen der Regierung sollten Arbeitnehmer, die noch nicht in Pension gehen können und keinen Arbeitsplatz mehr finden, einen Zuschlag zum Arbeitslosengeld von 20 Prozent erhalten. Stattdessen ist nun ein Zuschlag von 25 bis 30 Prozent geplant.

Knackpunkt Frühpensionen

Kaum überbrückbar erscheinen die Differenzen in der Frage der Frühpensionen: Der ÖGB beharrt auf der Möglichkeit, auch weiterhin früher in Pension gehen zu können, während das Ende der Frühpensionen - wenn auch durch ausgedehnte Übergangsregelungen abgefedert - für die Regierung zu den unverrückbaren Eckpunkten ihrer Reform zählt. ÖGB und AK wollen die Frühpensionen beibehalten, da eine abschreckende Wirkung durch die vorgesehenen Abschläge ohnehin gegeben sei. Ebenfalls ablehnend stehen sie einem Solidarbeitrag von 0,5 Prozent gegenüber, sollte es gleichzeitig zu Leistungskürzungen kommen.

Übereinstimmung zwischen Regierung und Sozialpartnern gibt es dagegen bei der Behandlung von Arbeitnehmern mit langen Versicherungszeiten: In Pension soll demnach gehen können, wer entweder 65 Jahre alt ist oder auf 45 Versicherungsjahre kommt.