Zum Hauptinhalt springen

Streiks und Privatisierungsangst: Wohin fährt bloß die Deutsche Bahn?

Von Markus Kauffmann

Analysen

Seit Anfang dieses Jahres ist unter den deutschen Eisenbahnern Unruhe ausgebrochen. Am Freitag hat sie in den ersten Streiks seit drei Jahren ihren Ausdruck gefunden: Tausende Berufspendler in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und im Saarland sind am Morgen zu spät zur Arbeit gekommen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der Grund für die Arbeitsniederlegung von rund 1000 nicht verbeamteten Mitarbeitern ist ein seit Monaten schwelender Tarifstreit. Dieser beruht auf den Zukunftsängsten der rund 130.000 Betroffenen, falls die Deutsche Bahn den Börsengang antritt.

Die bisher gültige Beschäftigungsgarantie des Unternehmens bis 2010 gilt nämlich nur, wenn die Bahn gemeinsam mit dem Schienennetz privatisiert wird. Zwei einflussreiche Eisenbahner-Gewerkschaften, Transnet und GDBA, hatten den Tarifpakt aufgekündigt. Würden Schienennetz und Verkehrsbetrieb vor dem Börsengang getrennt, wären alle Zusicherungen hinfällig, argumentieren sie.

Die Deutsche Bahn AG betreibt vehement den Börsengang, in dessen Folge die Gesellschaftsanteile erst in die Hände institutioneller Anleger, später auch in Streubesitz gelangen würden. Sie drängt deshalb den Eigentümer Bund, eine Entscheidung über die Privatisierungsmodalitäten zu treffen.

Die von einem Gutachter-Konsortium um Booz Allen Hamilton erstellten fünf Privatisierungsmodelle reichen von der Teil-Veräußerung des bestehenden (vertikal) integrierten Konzerns bis zu einer vollständigen Privatisierung der Transportbetriebe nach Trennung von Transport und Schienennetz. Jede Variante hat unterschiedliche Auswirkungen auf die Erlöse, die öffentlichen Haushalte oder den Wettbewerb im Schienenverkehr.

Der Bund müsste in jedem Fall auch weiterhin kräftig für Erhalt und Ausbau des Schienennetzes bezahlen. Er will deshalb zumindest Mehrheitseigentümer bleiben, wodurch er auch durch Artikel 87e des Grundgesetzes verpflichtet ist.

Zur Schieneninfrastruktur zählen neben den eigentlichen Gleisen auch Bahnhöfe, Umschlaganlagen, Energieversorgung etc. Auch fürchtet man bei einem gleichzeitigen Verkauf von Unternehmen und Netz, zu geringe Erlöse zu erzielen und damit Volksvermögen zu verschenken.

Der von Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) unterbreitete Kompromissvorschlag, das Eigentumsrecht beim Bund, das wirtschaftliche Nutzungsrecht beim Unternehmen zu belassen, scheint von den Gewerkschaften akzeptiert zu werden, trifft aber bei Finanz- und Wirtschaftsministerium auf Skepsis.

Gewerkschaften und Streikende haben unerwartet Schützenhilfe vom Verkehrsausschuss des Bundestages bekommen, der am Mittwoch die Bahn-Führung aufforderte, den Beschäftigten eine Arbeitsplatzgarantie zu geben - unabhängig vom jeweiligen Modell. Ein ungewöhnlicher Vorgang, weil hierzulande die Autonomie der Tarifpartner - und die Nichteinmischung der Politik - sehr ernst genommen wird.