Großkundgebung in Brüssel. | ÖGB sieht EU-Kommission "in völlig falsche Richtung unterwegs". | Madrid. Wut über die Rotstiftpolitik europäischer Regierungen hat in mehreren Ländern heftige Proteste ausgelöst. In Spanien brachte ein Generalstreik gegen Arbeitsmarktreformen am Mittwoch die Wirtschaft nur teilweise zum Erliegen.
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Der Streik traf auch Tausende von Urlaubern. In Brüssel waren Massenproteste geplant, während die EU-Kommission Vorschläge zur Verschärfung des Euro-Stabilitätspaktes vorlegen wollte. Gestreikt wurde auch in Griechenland und Slowenien. In Irland blockierten Demonstranten das Parlament.
In Spanien folgten nach Gewerkschaftsangaben 70 Prozent der Beschäftigten dem Aufruf zur Arbeitsniederlegung. Die Regierung machte keine Angaben zur Beteiligung. Bei Rangeleien zwischen Streikposten und der Polizei wurden laut staatlichem Rundfunk RNE 16 Menschen verletzt. Lastwagen, die vor Sonnenaufgang Märkte in Madrid beliefern wollten, wurden mit Eiern beworfen und als Streikbrecher beschimpft. Vor allem Großbetriebe und Fabriken wurden lahmgelegt.
Bei den öffentlichen Verkehrsmittel lief nach Angaben der Regierung der vereinbarte Minimaldienst, allerdings fielen praktisch alle Inlandsflüge und viele Verbindungen ins Ausland aus, darunter auch zwei Iberia-Flüge zwischen Madrid und Wien.
Gestreikt wurde auch in Griechenland und Slowenien. In Griechenland traten die Fahrer der Busse und der U-Bahnen von Athen sowie der nationalen Bahn (OSE) in einen mehrstündigen Streik, Ärzte behandelten nur Notfälle. In Slowenien streikten die Staatsbedienstete am Mittwoch schon den dritten Tag in Folge gegen eine von der Regierung geplante Aussetzung kollektivvertraglich vereinbarter Lohnsteigerungen. Der Beamtenstreik führte insbesondere zu einem Chaos an den Grenzen zu Kroatien, wo Frächter bis zu 18 Stunden auf die Abfertigung warten mussten. In Irland stellten Demonstranten einen Zementmischer vor dem Eingang zum Parlament auf, um gegen Regierungspläne zur Stützung von Banken zu protestieren.
"Steueroasen trocken legen"
Die europäischen Gewerkschaften hatten für Mittwoch zu einem europaweiten Protesttag gegen die rigide Sparpolitik der Regierungen aufgerufen. Zu einer Großkundgebung in Brüssel erwartete der Europäische Gewerkschaftsbund 100.000 Teilnehmer, darunter auch ÖGB-Präsident Erich Foglar. "Es ist noch Zeit für einen Richtungswechsel", appellierte der Chef des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) an die Regierungen, bei den Sparmaßnahmen auf die Arbeitnehmer Rücksicht zu nehmen.
Die Gewerkschaften kritisierten insbesondere den Beschluss der EU-Kommission vom Mittwoch, künftig Geldstrafen für Defizitsünder zu verhängen. Damit sei die Brüsseler Behörde "in die völlig falsche Richtung unterwegs", sagte Foglar. Es würden nämlich jene Staaten bestraft, die mit Steuergeld während der Finanzkrise "das Schlimmste verhindert haben", während deren Verursacher weiter "ungeschoren" blieben. Konkret forderte Foglar die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und das Trockenlegen von Steueroasen.
Auch der Vorsitzende der Sozialistischen Fraktion im Europaparlament, Martin Schulz, warnte vor einem einseitigen Sparkurs. Bei "Kürzungsorgien" würden die kleinen Leute die Zeche zahlen und nicht etwa die Multimilliardäre, sagte Schulz im Deutschlandfunk. "Nur Schulden abbauen reicht nicht. Das muss mit wachstumsfördernden Zielen verbunden sein." Die EU-Kommission beschloss am heutigen Mittwoch eine Verschärfung des Euro-Stabilitätspakts, die Strafen von bis zu 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bei ausufernden Defiziten vorsieht.