Zum Hauptinhalt springen

Streit-Banausen

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

Auf manche Dinge kann man sich in Österreich so sicher verlassen wie auf das Amen im Gebet. Etwa auf Alibi-Reformdiskussionen, wenn die Wähler zeigen, dass sie mit dem Status quo unzufrieden sind. Wenigstens ist noch niemand auf die Idee verfallen, das Faktum einer 50-prozentigen Wahlbeteiligung als Ausdruck besonderer Zustimmung zu werten.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Dafür ist der Versuch von Rot und Schwarz, sich gegenseitig die Schuld für das Beteiligungsdebakel in die Schuhe zu schieben, an Peinlichkeit kaum zu überbieten.

Als Konsequenz aus der erbärmlichen Karikatur eines Wahlkampfs wird nun ein Ablenkungsmanöver gestartet: Statt offen und selbstkritisch zu fragen, warum es nicht gelungen ist, mehr als die Hälfte der wahlberechtigten Bürger zur Teilnahme an der Bundespräsidentschaftswahl zu motivieren, ändert man lieber die Wahlmodalitäten des Amtes. Statt offen darüber zu streiten, welche Werte die Zeit und das Amt verlangen, hängt man lieber weiter an einem antiquierten Bild eines Ersatz-Monarchen, der es allen recht machen will und soll.

Natürlich liegt das Geheimnis eines erfolgreichen Bundespräsidenten in seiner Überparteilichkeit und moralischen Autorität in allen Lagern. Man fragt sich nur, warum das unvereinbar sein soll mit einer korrekten Wahlauseinandersetzung. In Österreichs Politik wird ständig so viel gestritten, dass der Streit selbst als Grundvoraussetzung der Demokratie delegitimiert ist. Nach dieser Auffassung streiten gute Demokraten nicht, sondern arbeiten brav und tunlichst ohne Nebengeräusche zusammen. Österreichs Innenpolitik ist ein einziges lebendiges Beispiel mangelnder demokratischer Streitkultur.

Kein Wunder, dass das auch auf die Bürger abfärben muss. Im Nationalratswahlkampf 2008 haben sie noch dem Slogan "genug gestritten" - ermattet von den langen Auseinandersetzungen in den Monaten zuvor - zur Nummer eins verholfen. Am Sonntag hätte es dagegen ein bisschen mehr sein müssen: Streit um Werte zum Beispiel.

Acht statt sechs Jahre, dafür aber keine Wiederwahl, ist keine Antwort auf dieses Dilemma mangelnder politischer Streitkultur. Die müssen übrigens auch die Medien auf ihre Kappen nehmen.