Eurozone erwägt neue IWF-Hilfen als Kompromiss - G20 müsste zustimmen.
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Brüssel/Wien. Es ist ein Fiasko mit Ansage. Am Montag, 24. Oktober 2011 um 2 Uhr hätte ein Schlussstrich unter die Schuldenkrise gesetzt sein sollen. Die frühmorgendliche Deadline hatten die EU-Granden gewählt, weil sie die Börsen in Asien noch vor Handelsauftakt mit einem umfassenden Euro-Krisenpaket beeindrucken wollten. Davon ist keine Rede mehr. Der dreitägige EU-Gipfel, der am Freitag begann, war noch vor seinem Beginn vom geplanten Befreiungsschlag zum Vorbereitungstreffen geschrumpft. Aus dem Rahmen fiel da lediglich die am Freitagabend erfolgte Zustimmung der Finanzminister zu der nächsten Griechenland-Hilfstranche in Höhe von acht Milliarden Euro, ohne die das hochverschuldete Land schon im November in die Pleite gerutscht wäre.
Über das große Gesamtpaket werde aber bis Montagfrüh keine Entscheidung getroffen, hieß es aus Berliner Regierungskreisen. Der Grund: Frankreich und Deutschland sind in zentralen Fragen der Krisenbekämpfung so zerstritten, dass sie sich nicht einigen können - und das, obwohl der EU-Gipfel ohnehin um eine Woche nach hinten verschoben worden war. Jetzt vertrösten die EU-Politiker die Märkte bis zu einem kurzerhand für Mittwoch anberaumten Gipfel.
Worum geht es? Die Schuldenkrise, die zunächst nur wenige Euroländer an der Peripherie betroffen hatte, ist im Zentrum der Währungsunion angekommen. Mittlerweile ist es kein hypothetisches Szenario mehr, dass die Krise auf Spanien oder insbesondere auf Italien übergreifen könnte: Es ist eine reale Bedrohung. Und mehr noch: Die Vertrauenskrise greift tief in das Herz des Finanzsektors ein. Deshalb müssen die Probleme Griechenlands, die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms und die Kapitalaufstockung der Banken gleichzeitig gelöst werden. Und nebenbei sollte auch noch die Wirtschaftspolitik innerhalb der Eurozone künftig besser akkordiert - und womöglich ein neues Gesicht für den "Mister Euro" bestimmt werden.
Einigung "schwer erzielbar"
Nur einige dieser Minenfelder konnten in der Gipfelvorbereitung geräumt werden. Ausgerechnet in zwei Kernbereichen schienen beim Treffen der Eurozonenfinanzminister in der Nacht auf Samstag Einigungen laut Diplomaten nur "schwer erzielbar".
Der eine Streitpunkt betrifft das zweite Nothilfeprogramm für Griechenland, das wieder aufgeschnürt werden musste. Wie sehr die Banken dabei zur Kassa gebeten werden sollen, ist noch nicht geklärt. Der zweite Konfliktherd betrifft den Eurorettungsschirm EFSF ("European Financial Stability Facility"), dessen Mittel gerade erst auf 440 Milliarden Euro angehoben wurden. Jetzt soll das Kreditvolumen allerdings durch finanztechnische Hebel weiter vergrößert werden - wie, ist strittig. Obwohl das mehrfach heftig dementiert wurde, liegen sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy bei beiden Punkten in den Haaren. "Vielleicht haben sie nicht laut gestritten, aber sie sind unterschiedlicher Meinung", sagte ein Diplomat eines kleineren Mitgliedslandes. Denn ihre Garantien haben die Euroländer eben erst mühsam auf 780 Milliarden Euro aufgestockt, damit der EFSF bis zu 440 Milliarden Euro zugunsten schwankender Euroländer zu besten Konditionen auf den Finanzmärkten aufnehmen kann. Diese Summe zu erhöhen ist undenkbar. Dass Frankreich ansonsten um seine Kreditwürdigkeit bangen müsste und sein Toprating verlieren könnte, spielt dabei eine Rolle. Zudem ist eine Aufstockung vielen nationalen Parlamenten nicht mehr zuzumuten. Die slowakische Regierung war bereits über der letzten EFSF-Aufwertung zerbrochen.
Es gehe um einen effizienten Mitteleinsatz des neuen EFSF, sagte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble. "Dabei haben inzwischen alle zur Kenntnis genommen, dass so wie es in den Verträgen steht, die Notenbank nicht zur Staatsfinanzierung zur Verfügung steht." Ähnlich äußerte sich Österreichs Finanzministerin Maria Fekter: Die Variante mit einer Banklizenz für den EFSF sei "vom Tisch". Dass Sarkozy genau diese wollte, wurde in Brüssel aber vielfach kolportiert. Für den Eurofonds als Bank, die sich bei der Europäischen Zentralbank (EZB) refinanziert, sprachen sich auch Belgiens Finanzminister Didier Reynders und ein Vertreter Spaniens aus. Berlin schloss jede EZB-Einbindung kategorisch aus.
Als klarer Hebel-Favorit hatte letzte Woche daher die "Teilkasko"-Version gegolten. Dabei würde der EFSF die Staatsanleihen mancher Euroländer garantieren - etwa für einen Anteil von 20 Prozent. Die Hoffnung war, dass die Papiere dann für Anleger attraktiver würden und die Staaten das Geld am Finanzmarkt zu einem günstigeren Zinssatz aufnehmen könnten. Mit den im EFSF verbliebenen rund 400 Milliarden Euro könnten - so die Theorie - an die 2000 Milliarden Euro mobilisiert werden. Als möglicher Kompromiss kristallisierte sich am Freitagabend aber eine Hebelung unter Einbeziehung des Internationalen Währungsfonds (IWF) heraus. Dieser könnte Sonderkonten oder zusätzliche Kreditlinien einrichten, hieß es. "Der IWF wird alles tun, um den Europäern zu helfen", sagte IWF-Chefin Christine Lagarde. Eine Entscheidung könnte freilich überhaupt erst am G20-Gipfel Anfang November getroffen werden.
Bei der Bankenbeteiligung am zweiten Griechenlandpaket sind sich Berlin und Paris nur einig, dass sie mehr als jene 21 Prozent betragen sollen, welche die Staats- und Regierungschefs im Juli beschlossen hatten. Seit damals hat sich die Lage in Griechenland verschlechtert. Die Rezession fällt mit heuer 5 und im nächsten Jahr 2,5 Prozent Rückgang der Wirtschaftsleistung tiefer aus als angenommen. Zudem seien Reformen und Privatisierungen von den Griechen leider nicht wie vereinbart umgesetzt worden, hieß es in Diplomatenkreisen. Nachdem auch die sogenannte Troika am Freitagabend offiziell bestätigte, dass das zweite Hilfspaket nicht ausreicht, sollen die Banken und Investoren auf einen größeren Teil ihrer Forderungen verzichten. Dem Vernehmen nach wollte Sarkozy die Aufstockung des "Private Sector Involvements" (PSI), wie es im Jargon heißt, auf maximal 35 Prozent akzeptieren - offenkundig aus Sorge um die französischen Banken. Merkel soll auf 50 Prozent beharrt haben.
Mehr Puffer für die Banken
An einer anderen Front gibt es Fortschritt: Europas Banken sollen mit mehr Kapital gegen den drohenden Sturm durch die Schuldenkrise gewappnet werden (siehe Story Seite 25). Auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Rekapitalisierung sollten sich bereits die Finanzminister am Samstag einigen. Für den Umfang kursierten lange völlig unterschiedliche Zahlen zwischen 100 und 370 Milliarden Euro. Zuletzt galten jedoch 80 oder 90 Milliarden als die wahrscheinlichsten Ergebnisse.
Einigkeit gibt es, dass die Banken zuerst selbst versuchen, ihr Kernkapital aufzustocken. Als Zielwert gelten jene neun Prozent, die Schäuble bereits genannt hatte. Falls das nicht möglich ist, springen die Staaten ein und erst dann der EFSF. Der Eurohilfsfond soll neben der Aufstockung und der Unterstützung für die Banken künftig auch Staatsanleihen zur Kursstützung am Sekundärmarkt aufkaufen können, wie das derzeit die EZB macht. Er wird auch Ländern, die noch nicht am finanziellen Abgrund stehen, Kreditlinien bereitstellen können. Vor allem Spanien und Italien, die jümgst ins Visier der Märkte geraten sind, sind zu weiteren Spar- und Reformbemühungen aufgerufen - ohne freilich direkt beim Namen genannt zu werden.