Kritiker fordern Auflösung der IGGiÖ. | Kultusamt soll neue Verfassung genehmigen. | Rückzahlung von 40 Millionen Euro Fördergeldern? | Wien. Seit bald zwei Monaten liegt beim Kultusamt im Unterrichtsministerium die neue Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ). Während Präsident Anas Schakfeh auf baldige Genehmigung hofft, lassen Beschwerdebriefe an Ministerin Claudia Schmied (SPÖ) bei Beamten und Politikern die Alarmglocken läuten.
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Verfasser der Schreiben ist Günther Ahmed Rusznak, der Präsident des Islamischen Informations- und Dokumentationszentrums Österreich. Derzeit wäre eine Entscheidung des Kultus amts Amtsmissbrauch, für Schmied könne das Amtshaftung bedeuten, so Rusznak. Es liefen neun Kuratorverfahren gegen die IGGiÖ wegen Handlungsunfähigkeit, man müsse erst die Entscheidung der Gerichte abwarten.
Auch verstoße die IGGiÖ gegen das Anerkennungsgesetz, da sie mit weniger als 300 eingetragenen Mitgliedern die für Religionsgemeinschaften vorgesehene Mindestanzahl von 16.000 nicht erfülle. Die Auflösung der IGGiÖ sei nötig. Dem Rechnungshof erklärt Rusznak weiters, dass alle Förderungszahlungen an die IGGiÖ der letzten 20 Jahre in Höhe von mehr als 40 Millionen Euro aufgrund fehlender Rechtsgrundlagen unrechtmäßig seien.
"Österreichs Politiker tun nichts gegen den Alleingang von Präsident Schakfeh", seufzt auch der Journalist und Mitbegründer der Initiative Liberaler Muslime Österreich (Ilmö) Amer Albayati. Er spricht von "heftiger Kritik inner- und außerhalb der IGGiÖ am autoritären Clan-Führungsstil". Die Ilmö fürchtet, die Genehmigung der neuen Verfassung könne den jetzige Zustand einzementieren.
Seit vier Jahren wenden sich islamische Kritiker mit heftigen Vorwürfen an die Öffentlichkeit. Ist die IGGiÖ untragbar oder Opfer von Querulanten? Näher betrachtet zeigt sich: Die gesetzliche Anerkennung der IGGiÖ wirft Fragen auf, denen heimische Politiker nie Beachtung schenkten. Dass die Behörden ihre Aufsichtspflicht vernachlässigten, verschärft das Problem.
Mängel der jetzigen Islamregelung
Der IGGiÖ gehören laut ihrer Verfassung alle Muslime in Österreich an. Doch schweigt sich die Führung darüber aus, ob und wie ihre Mitglieder registriert werden. Über Mitgliederzahlen will Schakfeh "überhaupt keine Aussage machen". Im Gegensatz zu anderen Religionsgemeinschaften fehlt ein Mitgliederverzeichnis.
Wahlberechtigt ist, wer als Mitglied in einer der vier islamischen Religionsgemeinden eingetragen ist. Doch wieder liegen dem Kultusamt keine Mitgliederverzeichnisse vor, es fehlt jede Möglichkeit zu kontrollieren, ob bei Wahlen die IGGiÖ-Verfassung eingehalten wird. Rusznak kritisiert auch, dass ein Viertel der wahlberechtigten Mitglieder nicht-österreichische Staatsbürger sind, die ihren ordentlichen Aufenthalt nicht in Österreich haben. Die neue Verfassung würde den Anteil wahlberechtigter Nicht-Österreicher auf 50 Prozent erhöhen.
Um Mitglied einer Religionsgemeinde zu werden, muss man jährlich die festgesetzte Kultusumlage zahlen. Bis dato wurde dem Unterrichtsministerium nie eine Kultusumlageordnung vorgelegt, obwohl das die IGGiÖ-Verfassung vorsieht. Die IGGiÖ-Homepage nennt einen nie genehmigten Jahresbeitrag von 43,60 Euro.
Laut Artikel 6 der derzeitigen Verfassung haben "neben" der IGGiÖ "die vier Islamischen Religionsgemeinden Rechtspersönlichkeit". Würde sich die IGGiÖ auflösen, blieben trotzdem die vier Religionsgemeinden bestehen. Nach Ansicht einiger Rechtsexperten wären für deren Errichtung eigene Bescheide erforderlich, die es aber nicht gibt; die Religionsgemeinden, ohne die sich die IGGiÖ-Organe nicht konstituieren können, wären rechtlich inexistent.
Religiöses Leben abseits der Vertretung
Die IGGiÖ-Verfassung zählt die "Errichtung und Erhaltung von Moscheen" zu ihren Aufgaben. In eklatantem Widerspruch dazu führen alle Moscheen von der IGGiÖ unabhängige Vereine, hinter denen oft Organisationen stehen, die in ihren Heimatländern als politische Parteien gelten. So sind die Vorbeter (Imame) des Dachverbands Atib bezahlte Angestellte des türkischen Staates.
Dass die IGGiÖ keine Kontrolle ausüben kann, wurde deutlich, als von ihr erfolglos die Absetzung eines Imams verlangt wurde: Das kann rechtlich nur der Moschee-Verein tun, nicht die IGGiÖ. Bei keiner anderen Religionsgemeinschaft findet die Organisation des religiösen Lebens so losgelöst von der offiziellen Vertretung statt.
Nur in zweierlei Hinsicht hat der IGGiÖ-Präsident Einfluss: Er erteilt die Befähigung zum Islamlehrer und beantragt die quotenfreie Aufenthaltsgenehmigung für Imame. Viele Muslime kritisieren, dass beides nicht auf Grundlage von Qualifikation, sondern von Abmachungen zwischen der IGGiÖ-Führung und islamischen Vereinen geschieht.
Die IGGiÖ-Verfassung muss sich an das Islamgesetz vom 1912 und die Islamverordnung von 1988 halten. Die Verfassung wurde in den 1980er Jahren, als die Verordnung noch nicht in Kraft war, beschlossen. 1999 nahm die IGGiÖ Änderungen an der Verfassung vor; dabei verabsäumte es das Kultusamt, die gesamte IGGiÖ-Verfassung nochmals auf Grundlage der Verordnung zu genehmigen.
1912 wurde der Islam nur teilweise anerkannt. Nach einer Vorberatung zur Gesetzesvorlage stellte die Kommission des kaiserlichen Herrenhauses 1910 fest: "Es läßt sich allerdings nicht verkennen, daß in der Sitten- und Rechtslehre Bestandteile vorkommen, die der christlich-europäischen Zivilisation widerstreiten." Islamische Lehren, die dem Gesetz widersprechen, sind demnach verboten. Richard Potz, Professor für Religionsrecht an der Uni Wien, verlangt eine Reform des Islamgesetzes, "da es nach hundert Jahren überholt und mit einer halben Text-Seite unzureichend ist."
Die Ilmö kritisiert auch den Alleinvertretungsanspruch der IGGiÖ: 99 Prozent der Muslime und mehr als 20 Islamrichtungen seien nicht vertreten. Die Aleviten verlangen bereits eine eigene islamische Vertretung (siehe
Präsident Schakfeh betont, dass sich die IGGiÖ als Körperschaft öffentlichen Rechts die Mitglieder aussucht. Faktisch ist die IGGiÖ ein Islamverein unter anderen, ausgestattet mit allen Privilegien einer anerkannten Religionsgemeinschaft; der Willkür sind Tür und Tor geöffnet. Teils fehlen die gesetzlichen Regelungen, teils haben die Behörden nicht aufgepasst. Es ist fraglich, ob die IGGiÖ-Organe seit 20 Jahren rechtmäßig bestehen. "Wenn eine Religionsgemeinschaft die öffentlich rechtlichen Bedingungen nicht erfüllt, müsste man die Anerkennung zurückziehen", so Potz.
Siehe auch:Neue Verfassung mit neuen ProblemenAnmerkung: Die hanafitische (hanefitische) Rechtschule ist eine der vier Rechtsschulen des Islam. Sie wird von etwa der Hälfte der Sunniten vertreten.