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Streit um Anti-Rassismus-Gesetz in Griechenland

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Konservative Partei hat Angst vor Wählerabwanderung zum rechten Rand.


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Athen. Ein Entwurf jagt den anderen. Griechenland ist unschlüssig, wie man dem grassierenden Rassismus Einhalt gebieten soll. Kürzlich sah sich Athens Justizminister Antonis Roupakiotis gezwungen, seinen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung des Rassismus kurzerhand zurückzuziehen. Der Grund: Der wichtigste Koalitionär der Drei-Parteien-Regierung, die konservative Nea Dimokratia (ND) von Premierminister Antonis Samaras, hielt die Vorlage schlicht für überflüssig. Die Lesart der ND lautete: Das bestehende Gesetzeswerk aus dem Jahre 1979 sei völlig ausreichend.

Doch Roupakiotis Partei - der kleinste Athener Koalitionär, die Demokratische Linke (Dimar) - ließ nicht locker. Gemeinsam mit den mitregierenden Pasok-Sozialisten reichte sie am vorigen Donnerstag auf der Basis des Roupakiotis-Entwurfs ein neues Gesetzesvorhaben ein und stellte damit Samaras bloß.

Zudem kritisierte der angesehene Dichter Nanos Valaoritis in einem Brief Samaras wegen seiner sturen Haltung. Samaras, der als Oppositionschef noch leidenschaftlich gegen den von Griechenlands Kreditgeber-Troika diktierten Sparkurs gepoltert hatte, sich aber nach der Machtübernahme zum resoluten Sparbefürworter wandelte, hob in seinem Antwortbrief an den Dichter hervor, er habe "Griechenlands Partner schon lange vor der Gefahr gewarnt, die tiefe und lang anhaltende Rezession werde zu ,Weimarer Verhältnissen‘ führen". Zugleich unterstrich Samaras: "Griechenland ist das einzige Land in Europa, das ein besonderes Problem zu bewältigen hat: die illegale Einwanderung!" Dieses Übel sei, so Samaras weiter, "die wichtigste Waffe in den Händen der Neonazis". Ziel müsse es folglich sein, die Neonazis "nicht weiter damit zu bewaffnen".

Illegale Einwanderung hin, Krise her: Die Samaras-Partei hat nun doch einen eigenen Vorschlag zum Anti-Rassismus-Gesetz präsentiert - es ist damit schon der dritte Vorschlag binnen weniger Tage. Das Problem: Die Nea-Dimokratia-Version unterscheidet sich deutlich von den Entwürfen der Koalitionskollegen Pasok und Dimar. So ist ein erbitterter Streit unter den Koalitionären entbrannt. Pasok und Dimar wollen unter anderem, dass illegale Einwanderer, die in Strafverfahren als Zeugen dienen könnten, nicht plötzlich abgeschoben werden. Diese Regelung sieht der Vorschlag der Nea Dimokratia nicht vor.

Straffreier Rassismus für Beamte als Ausnahme?

Straffrei soll zudem Rassismus gegen Schwule und Lesben sein, so die Nea Dimokratia. Pikant: Samaras und Co. wollen ferner, dass Staatsdiener im neuen Anti-Rassismus-Gesetz einen Sonderstatus genießen. Beispiel: Attackieren Beamte im Dienst jemanden wegen seiner Herkunft oder Hautfarbe verbal, sollten sie nicht dafür bestraft werden.

Scharfe Kritik an der vom konservativen Regierungspartner geplanten "Light-Version" des Anti-Rassismus-Gesetzes üben die Pasok-Sozialisten: "Darf ein Minister, ein Lehrer oder ein Priester rassistisch sein und der einfache Bürger nicht? Was ist überhaupt Rassismus? Ein Verbrechen oder ein Recht für einige?"

Der böse Vorwurf hinter vorgehaltener Hand: Samaras wolle vor allem die Sicherheitskräfte mit Samthandschuhen anfassen, um diese nicht zu vergrätzen und so in Scharen zur rechtsextremen Partei Goldene Morgenröte abwandern zu lassen. Hintergrund: Bei den Doppelwahlen 2012 im Mai und Juni zog die Goldene Morgenröte erstmals mit knapp sieben Prozent der Stimmen ins Athener Parlament ein. Besonders in Wahllokalen, wo Polizisten ihre Stimme abgeben, hatte die Morgenröte Traumergebnisse erzielt.

Einer jüngsten Umfrage des angesehenen Athener Meinungsforschungsinstituts Public Issue zufolge würden mittlerweile 11,5 Prozent der Wähler für die Rechtsextremen votieren. Zur Masche der Goldenen Morgenröte zählt, Griechenlands etablierte Polit-Elite in und außerhalb des Parlaments immer wieder medienwirksam zu provozieren. Vorläufiger negativer Höhepunkt: Während einer hitzigen Debatte schallten "Heil Hitler"-Rufe durch das Plenum. Der Aufschrei in Hellas war groß.

Wie soll man also mit den Rechtsextremen umgehen?, fragt man sich in Athen. Eine "Lex Morgenröte" wird es jedenfalls nicht geben. So geht in Hellas das Gezerre um das Anti-Rassismus-Gesetz weiter. Das Bild, das die Politik biete, sei "erbärmlich", legte Pasok-Chef Evangelos Venizelos den Finger in die Wunde: "Schafft es das Parlament nicht, eine vollständige und umfassende antirassistische Gesetzgebung zu verabschieden, erleben wir den ersten Akt des Selbstmordes der griechischen Demokratie."

Schon wimmelt es vor Gerüchten, wonach der Zwist in der Athener Koalition in vorgezogene Neuwahlen im Herbst münden könnte. "Unter den gegebenen Umständen könnte das Thema Anti-Rassismus zu einem Kampffeld werden, das die Athener Drei-Parteien-Regierung in Gefahr bringt", sagt auch der renommierte Athener Journalist und Buchautor Stavros Lygeros.

Fest steht: Die Goldene Morgenröte wittert eine neue Chance, sich zu profilieren: "Wir werden umgehend einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung des einzigen Rassismus in unserem Vaterland vorlegen: den gegen die Griechen", sagte Parteiführer Nikos Michaloliakos am Samstag bei einer Rede in der Stadt Gytheion im Süden des Peloponnes. Hunderte Einwohner waren zur Einweihung des lokalen Parteibüros erschienen. Es werden immer mehr, freute sich die Morgenröte.

Ausgerechnet die Troika bietet den zerstrittenen Athener Koalitionären nun eine Ablenkung. Denn am Dienstag kommen die Troika-Kontrolleure wieder nach Athen. Sie werden erneut unter die Lupe nehmen, ob Griechenland die Sparauflagen für die Gewährung der Kredite erfüllt.