Der Ausbau in Richtung Ganztagsschule bringt erste Konflikte.
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Wien. Eines der erklärten Lieblingsprojekte von Unterrichtsministerin Claudia Schmied ist der Ausbau der Tagesbetreuung an Österreichs Schulen. "Wir wollen die Anzahl an qualitativ hochwertigen Plätzen in der schulischen Tagesbetreuung von 105.000 auf 160.000 steigern", verkündete Schmied im vergangenen Herbst. "Inklusive der Hortplätze werden ab dem Schuljahr 2014/2015 dann 210.000 hochwertige Plätze in schulischer Tagesbetreuung angeboten." Und die öffentliche Hand lässt sich diesen Ausbau in Richtung Ganztagsschule einiges kosten: Insgesamt 320 Millionen Euro sollen österreichweit investiert werden.
Um den steigenden Bedarf an Betreuungspersonal decken zu können, hat das Unterrichtsministerium das neue Berufsbild der "akademischen Freizeitpädagogen" geschaffen. Doch an der zweisemestrigen Ausbildung, die seit heuer an den Pädagogischen Hochschulen angeboten wird, gibt es mittlerweile heftige Kritik.
So hat der Berufsverband Österreichischer ErzieherInnen und SozialpädagogInnen (BOES) die Bundesministerin per Petition aufgefordert, von dem neuen Lehrgang für Freizeitpädagogen abzusehen - vergeblich. "Bei einem Gespräch im Unterrichtsministerium wurde uns klar gesagt, man brauche ganz schnell ganz viele Leute für die Nachmittagsbetreuung", erinnert sich die Berufsverbandsvorsitzende Isabella Rottensteiner. "Also können an dem neuen Lehrgang, der nur zwei Semester dauert, nun auch Personen ohne jegliche pädagogische Vorbildung teilnehmen. Von einer ausreichenden Qualifikation für die Betreuung von Kindern und Jugendlichen kann da wirklich nicht gesprochen werden."
Die Betreuer würden ja nicht nur als Aufsichtspersonen fungieren, sondern müssten auch in der Lage sein, auf die individuellen Bedürfnisse und Problemlagen der Kinder und Jugendlichen optimal einzugehen, geben die Sozialpädagogen zu bedenken.
Außerdem würde die Bezeichnung "Akademische Freizeitpädagogen" eine akademische Qualifikation suggerieren, die keineswegs gegeben sei. Während die Ausbildung zum Sozialpädagogen zumindest zwei Jahre dauert, müssen Freizeitpädagogen nicht einmal Matura haben.
Also kann laut Hochschulgesetz prinzipiell jede Person ab 18 Jahren zum Freizeitpädagogen ausgebildet werden. "Mit dem Lehrgang wollen wir uns speziell an die Mitglieder von Sport-, Musik- und Kulturvereinen richten, die mit Schulen bei der Freizeitbetreuung kooperieren", lautete die Begründung des Ministeriums.
Sportler und Musiker
So sollen zum Beispiel Mitglieder eines Musikvereins als Halbtagsjob am Nachmittag mit den Schülern musizieren oder Vereins-sportler mit ihnen turnen. Das "Interesse und die Eignung" der Lehrgangsteilnehmer wird von der Hochschule im Rahmen von Informations- und Orientierungsworkshops sowie bei Hospitationen an mindestens zwei Schularten getestet. Am ersten Lehrgang der Pädagogischen Hochschule Wien nehmen derzeit 81 angehende Freizeitpädagogen teil. "Aus welchen Berufen diese kommen, wird seitens der Pädagogischen Hochschule Wien nicht erhoben", heißt es auf Anfrage der "Wiener Zeitung".
Feststeht hingegen, dass die Freizeitpädagogen laut Gesetz dezidiert nur für Freizeitaktivitäten, "nicht aber in der individuellen Lernzeit, also zur Erledigung von Hausaufgaben unter fachlicher Hilfestellung, eingesetzt werden dürfen." Da diese gesetzliche Vorgabe an den praktischen Anforderungen völlig vorbeigeht, hat die Pädagogische Hochschule Niederösterreich in Baden ihren "Lehrplan" mittlerweile angepasst. Um die Auszubildenden auch auf die Lernbegleitung vorzubereiten, wurde zum Beispiel ein Mathematikkurs installiert.
Appell an Ministerin
"Das bestätigt unsere schlimmsten Befürchtungen" sagt Isabella Rottensteiner. "Man kann lernen und spielen in der Nachmittagsbetreuung einfach nicht trennen, und daher ist pädagogisch qualifiziertes Personal unbedingt nötig."
Auch Rottensteiner ist sich bewusst, dass es für den geplanten Ausbau der Nachmittagsbetreuung zu wenige klassisch ausgebildete Erzieherinnen und Sozialpädagogen gibt. "Ein Grund dafür ist, dass im sozialpädagogischen Feld - wir sind ja keine Hochschule - die Ausbildung derzeit in sehr kleinen Gruppen stattfindet", sagt Rottensteiner.
"Wir appellieren daher an die Ministerin, endlich mehr Ausbildungsplätze für Sozialpädagoginnen und -pädagogen sowie Hort-Erzieherinnen und -Erzieher zur Verfügung zu stellen."