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Streit um deutsche Maut

Von Peter Hilpold

Recht

Für Österreich waren Deutschlands Zugeständnisse nicht ausreichend - bei der Klage hätte aber etwas mehr Sorgfalt geübt werden müssen.


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Die Wogen gingen hoch, als der schwedische Generalanwalt Nils Wahl am 6. Februar 2019 seine Schlussanträge zur österreichischen Klage gegen die geplante deutsche Maut vorlegte und vorschlug, diese abzuweisen. Denn Österreich, wo man nun gespannt auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) wartet, war sich im Vorfeld der Klage seiner Sache sehr sicher gewesen.

Das muss auch so sein, zumal EU-Mitgliedstaaten im wechselseitigen Verhältnis nicht einfach "drauflos klagen": Vertragsverletzungsklagen zwischen Mitgliedstaaten sind äußerst rar. Zumindest indirekt haftet solchen Klagen immer noch der Geruch des "unfreundlichen Aktes" an. Deshalb nimmt die EU-Kommission die undankbare Aufgabe, "Wächter der Verträge" zu sein, regelmäßig wahr - und sieht sich auch oft der Kritik ausgesetzt.

EU-Konformität als Ziel

In diesem Fall hat die Kommission nach anfänglicher Kritik am deutschen Vorhaben von einer Klage abgesehen, nachdem die Bundesrepublik Deutschland Verbesserungen an ihrem Vorschlag vorgenommen hatte. Auch das ist eine wichtige Funktion des Vertragsverletzungsverfahrens: Ziel muss die Erreichung der EU-Konformität sein, und die Verhandlungen im Vorfeld der Einbringung einer Klage tragen oft wesentlich dazu bei, einen konkreten Verstoß gegen das EU-Recht aus dem Weg zu räumen.

Für Österreich waren die Zugeständnisse Deutschlands aber nicht ausreichend, zumal auch von deutschen Politikern provokante Töne zu vernehmen waren, wonach für die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen die Nachbarn zu zahlen hätten.

Generalanwalt Nils Wahl wollte sich darauf aber nicht einlassen und den Sachverhalt rein objektiv prüfen: Die Mautgebühren sind zweifelsfrei mit einer parallelen Entlastung im Bereich der Kfz-Steuer für deutsche Autofahrer verbunden, doch sieht der Generalanwalt darin kein Problem. Im Bereich der neuen Infrastrukturabgabe, der Maut, werden Inländer und Ausländer gleichbehandelt. Die Kfz-Steuer fällt hingegen in den nationalen Kompetenzbereich, und darüber kann die EU nicht befinden. Die Situation der österreichischen Autofahrer, die allein die Mautgebühren zahlen, sei damit mit jener der deutschen Autofahrer, die ebenfalls mautpflichtig sind, aber darüber hinaus auch noch kfz-steuerpflichtig, nicht vergleichbar. Das Diskriminierungsverbot greife hier somit nicht.

Nationale Souveränität

Kein Zweifel: Der Generalanwalt hätte auch anders argumentieren können, durchaus auch im Sinne Österreichs. Man muss sich aber die Folge einer solchen Entscheidung (die der Europäische Gerichtshof noch treffen könnte) vor Augen führen: Sie würde einen (weiteren) massiven Einschnitt in die nationale Souveränität der Mitgliedstaaten bedeuten und zu einer "Quasi-Vergemeinschaftung" selbst solcher Kompetenzbereiche wie der Steuerpolitik führen, die ganz bewusst im souveränen Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten belassen worden sind.

In einem hochintegrierten Binnenmarkt hat jede steuerpolitische Maßnahme im weiteren Sinne auch grenzüberschreitende Auswirkungen und würde somit potenziell einen Diskriminierungstatbestand darstellen. Politiker müssten selbst am Stammtisch jedes Wort auf die Waagschale legen, um zu verhindern, dass ihr Heimatstaat nachfolgend zur Verantwortung gezogen wird. Im jetzigen integrationspolitischen Klima wäre das eine sehr gewagte Richtungswahl.

Man kann damit gespannt auf das Urteil des EuGH warten. Die in den vergangenen Tagen kolportierte Statistik, dass sich der EuGH in 80 Prozent der Fälle an den Schlussanträgen der Generalanwälte orientiere, ist in dieser Pauschalität nicht zutreffend. Ein Großteil der Fälle, die vor dem EuGH landen, ist ja auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung weitgehend zweifelsfrei zu klären. Wenn man davon ausgeht, dass die Generalanwälte die EU-Rechtsprechung kennen und richtig interpretieren, so ist eine weitgehende Entsprechung zwischen Schlussanträgen und Urteilen erwartbar. In hochpolitischen Fragen wie der vorliegenden ist hingegen alles offen.

"Bizarr, methodisch fehlerhaft"

Die Behauptung eines österreichischen Gutachters in diesem Verfahren, ein Urteil im Sinne der Schlussanträge könnte "zu einem Spaltpilz werden, der größer ist als der Brexit", erscheint weit hergeholt. Eher dürfte, wie gezeigt, das Gegenteil zutreffen. Ebenso verwundern muss die Reaktion auf die Kritik des Generalanwalts, Österreich hätte für die Behauptung, die Infrastrukturabgabe würde gegen den freien Warenverkehr verstoßen, keine Belege und Argumente geliefert. So wurde gesagt, nicht der Kläger müsse die Argumente liefern, sondern der Beklagte die Gegenargumente. Das widerspricht freilich Grundprinzipien nicht nur des EU-Prozessrechts.

Der Generalanwalt ist mit dem österreichischen Vorbringen hart ins Gericht gegangen: "paradox", "bizarr", "methodisch fehlerhaft". Dies erinnert an Äußerungen von Generalanwalt Francis Jacobs bezüglich der österreichischen Stellungnahmen in der "Bildungsrechtsprechung". Gerechterweise muss festgehalten werden, dass das österreichische Anliegen keineswegs so abwegig ist, wie diese Termini zum Ausdruck zu bringen scheinen, doch hätte in der Argumentation des österreichischen Vorbringens wohl etwas mehr Sorgfalt geübt werden müssen.