Zum Hauptinhalt springen

Streit um die Bahnreform entgleist

Von Rosa Eder und Sissi Eigruber

Wirtschaft

Schon seit Monaten droht die Gewerkschaft der Eisenbahner (GdE) damit, die Mitarbeiter der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) zum Überstundenboykott aufzurufen, sollte die geplante Bahnreform umgesetzt werden. Den Worten folgen nun Taten: Voraussichtlich ab kommendem Montag sollen keine Überstunden mehr geleistet werden. Weder die Gewerkschaft noch die ÖBB-Führung erwarten jedoch, dass dann sofort die Bahnen stillstehen und das große Chaos ausbricht.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Auswirkungen der Protestaktion - laut Gewerkschafts-Chef Wilhelm Haberzettl handelt es sich bei Überstundenboykott und Dienst nach Vorschrift nicht um Streikaktionen - sind noch nicht absehbar, da noch offen ist, wieviele ÖBB-Beschäftigte tatsächlich auf Überstunden und somit auf einen Teil ihres Gehalts verzichten werden wollen. "Es sind alle aufgerufen mitzumachen", so die Gewerkschaft. Nach Unternehmensangaben sind in den ÖBB in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 1,9 Millionen Überstunden geleistet worden. Im Gesamtjahr 2002 waren es insgesamt 4,1 Millionen Überstunden.

In der Unternehmenszentrale wartet man ab. Bei Mitarbeitern, die Turnusdienst ausüben, werde monatsweise abgerechnet, was bedeutet, dass Überstunden erst am Ende des Monats anfallen. Erst dann könnte es brenzlig werden. Einen konkreten Krisenplan gibt es nicht. Man werde alles tun, damit die Bahnkunden möglichst wenig von den Gewerkschaftsaktionen zu spüren bekommen, sagte eine ÖBB-Sprecherin. Laut früheren Angaben von ÖBB-Generaldirektor Rüdiger vorm Walde müssten im Fall eines Überstundenboykotts die Fahrpläne um bis zu 20% gekürzt werden.

Zunächst nur Ausfälle im Güterverkehr

"Das geht nicht von heute auf morgen", verlautete auch aus der Gewerkschaft, die die Gespräche mit Verkehrsminister Hubert Gorbach als endgültig gescheitert betrachtet. In der ersten Woche werde nur der Güterverkehr vom Überstundenboykott betroffen sein. Danach werde es im Schnellbahnverkehr im Raum Wien zu Zugsausfällen kommen, wenn sich die Lokführer, von denen laut Gewerkschaft 700 fehlen, an den Protestaktionen beteiligen. Von den derzeit 1.881 Lokführern werden 262 im S-Bahn-Verkehr eingesetzt. Die ÖBB bestätigte, dass im Westen Österreichs kaum Überstunden anfallen und diese Region daher kaum von Ausfällen betroffen sein werde.

Ob es bei Ausfällen im S-Bahnverkehr in Wien zu einem verstärkten Einsatz der Wiener Linien kommen wird, bleibt vorerst offen. "Es kommt auf das tatsächliche Szenario an. Wenn viele S-Bahnen nicht fahren, dann werden sicher mehr Fahrgäste auf die U-Bahn umsteigen", sagte Wiener Linien-Sprecher Johann Ehrengruber auf Anfrage der "Wiener Zeitung". Ob die Verkehrsmittel der Wiener Linien dann verstärkt im Einsatz sein werden, konnte Ehrengruber nicht sagen - betriebsintern seien diesbezüglich noch keine Überlegungen angestellt worden.

Verkehrsminister Gorbach richtete den Appell an die Gewerkschaft, "von Maßnahmen abzusehen und wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren." Die Gewerkschaft kritisiert vor allem den geplanten Eingriff in bestehende Dienstverträge und den Abbau von 5.000 Mitarbeitern über eine Personalgesellschaft bis 2010. Die Regierung wolle "in kollektivvertragliche Bestimmungen und die bestehenden privatrechtlichen Verträge der Eisenbahner eingreifen und die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei den ÖBB unter das Niveau der österreichischen Arbeitsverfassung drücken", so der oberste Eisenbahnergewerkschafter Wilhelm Haberzettl in einer Aussendung. Gorbach sei mit seinen Bemühungen zur Sicherstellung der künftigen Finanzierung der Schieneninfrastruktur gescheitert. Verkehrsstaatssekretär Helmut Kukacka bestreitet das. Für ihn stellt der Überstundenboykott eine "organisierte Kundenvertreibung" dar.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat am Mittwoch in einer öffentlichen Verhandlung den gesetzlichen Eingriff in die privatrechtlichen Verträge der Eisenbahner ins Visier genommen. Ob noch im Herbst eine Entscheidung fallen wird, ob ein Eingriff zulässig ist, steht noch nicht fest. Es sind insgesamt 13 Richter stimmberechtigt.