Am Morgen des 6. Juni 1944 fand in der Normandie die größte See-Invasion der Kriegsgeschichte statt: 155.000 Soldaten, 6.000 Schiffe und rund 14.600 Bomber wurden aufgeboten, um Hitlers Schreckensherrschaft den Todesstoß zu versetzen. Weitgehend unbeachtet bleibt bei der Betrachtung der damaligen Ereignisse, dass es im Vorfeld des "D-Day" erhebliche Meinungsunterschiede unter den Alliierten gab. Ein Streit, der weit über bloße militärtaktische Überlegungen hinausging.
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Die Briten, vornehmlich deren damaliger Premier Winston Churchill, wollten die zweite Frontlinie gegen Hitler- Deutschland ursprünglich nicht in Frankreich, sondern am Balkan errichten. Dem gewieften Strategen und überzeugten Antikommunisten in London ging es darum, Josef Stalin und seiner seit 1943 auf dem Vormarsch befindlichen Roten Armee den Weg abzuschneiden. Churchills Kalkül: Wenn die Rote Armee im Osten siegt - und ein solcher Sieg zeichnete sich 1944 schon deutlich ab - dann wird Osteuropa, vielleicht sogar ganz Mitteleuropa, bolschewistisch. Den Beteuerungen Stalins, die Sowjetunion werde sich nicht in die inneren Angelegenheiten der "befreiten" Länder einmischen, schenkte Churchill schon damals keinen Glauben.
Franklin Delano Roosevelt, Präsident der USA, vermochte den Gedankengängen seines Bundesgenossen nicht völlig zu folgen und sprach sich zunächst dafür aus, die "Festung Europa" von Süden her, über den italienischen Stiefel aufzurollen. Immerhin konnten die Alliierten bereits 1943 auf Sizilien Fuß fassen. Diesen Überlegungen stand allerdings entgegen, dass in diesem Fall die Alpen als beinahe unüberwindliches Hindernis im Wege wären - was sich dann im weiteren Kriegsverlauf auch bewahrheitete.
Stalin protestiert
Der dritte alliierte Partner, Josef Stalin, war mit beiden Plänen nicht einverstanden. Ihm war sofort klar, dass Churchill ihn am Vordringen in die Mitte Europas hindern wollte und legte Protest ein. Die Italien-Variante wiederum erschien ihm nicht erfolgversprechend genug. Für ihn war jene zweite Front, die seine Rote Armee entlasten sollte, nur in Frankreich vorstellbar. Erstens würden dadurch die Deutschen im Rücken angegriffen und Deutschland selbst am stärksten bedroht. Zweitens versprach sich der Kreml-Herr einiges von der französischen Widerstandsbewegung - der Resistance -, wo die Kommunisten die aktivste Gruppe stellten. Der Diktator im Kreml erwartete nach einem Sieg eine Volksfrontregierung, wenn nicht sogar ein kommunistisches Regime in Frankreich - ein bedeutender Schritt in Richtung Weltrevolution, wie Stalin annahm.
Churchill war weiterhin skeptisch, doch Roosevelt wollte seinen Partner in Moskau nicht vergrämen und so einigte man sich darauf, dass die Hauptinvasion in der Normandie stattfinden sollte. Eine weitere Landung sollte etwas später im Süden Frankreichs erfolgen.
Für Auswahl der Normandie sprach dann aus militärischer Sicht vieles: Wenn eine gewaltige Streitmacht im Süden Englands gesammelt werde, dann müsste der kurze Sprung in die Normandie glücken, hoffte man. Das sollte gelingen, ohne dass die Deutschen vorher Abwehrmaßnahmen ergreifen könnten.